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Eisenbahnmärchen
„Nun, das ist doch nur gut“, - hatte eine alte dicke Häsin gesagt, als die Eisenbahn von Braunschweig nach Harzburg eröffnet werden sollte, - „nun, das ist doch nur gut, dass man jetzt rascher zur Stadt kommen kann als früher. Mit dem Laufen will es bei meinen Jahren nicht mehr so recht fort und man hat so mancherlei Einkäufe zu besorgen, denn die Töchter wachsen nachgerade heran und man muss an die Ausstattung denken. Und was man hier in Feld und Wald haben kann, ist doch nicht mehr so recht in der Mode, und ich kann es keinem hübschen jungen Hasen verdenken, wenn er in dieser Zeit von seiner Allerschönsten eine etwas bessere Mitgift verlangt. Kauft man doch auf der Braunschweiger Messe so billig ein.“ So hatte die Alte gesprochen, und ähnlich dachten die andern Tiere des Harzwaldes. Als nun die Eisenbahn eröffnet war, welche so recht dicht an die Harzberge dran stößt, da waren gar viele Tiere gekommen und hatten wollen ein Billet lösen für die Fahrt zur Braunschweiger Messe. Aber der Einnehmer sagte: „Habt ihr Häschen, ihr Kaninchen, ihr Hirsche und Rehe, auch wohl einen Herrn? He? Habt ihr wohl auch einen Herrn?“ Da mussten sie traurig die Augen niederschlagen, denn sie hatten keinen Herrn, und nach den Eisenbahngesetzen durften nur auf den Namen von Menschen Tierbillets ausgegeben werden. Sie gingen dann immer missmutig hinweg und blickten von ihren Wäldern und Feldern aus neidisch auf die Ochsen, die von den Fleischern brüllend daher geführt und so recht bequem in den Tierwagen gebracht wurden, und auf die Hunde, welche mit ihren Herren kamen und ebenda bereitwillige Aufnahme fanden. Die Tiere im Harz hatten es sich aber nun einmal in den Kopf gesetzt, dass sie die Residenzstadt Braunschweig sehen wollten, und sie waren so neugierig geworden, dass sie ihren Plan so bald nicht aufgaben. Sogar die Vögel vom Harz, welche alle Jahre nach Braunschweig zur Messe gereist waren, wollten nun diese Reisegelegenheit benutzen: denn sie meinten, sowie kein Mensch mehr von Harzburg nach Braunschweig mit Extrapost führe, sondern Alles auf der Eisenbahn, so müssten auch die Braunschweiger meinen, dem Vögelchen, das jetzt noch auf seinen Fittigen nach Braunschweig flöge, sei das Köpfchen verdreht. Ein munterer Finke, der immer an der Bahn herumspionierte, schnappte eines Tages von einem armen Arbeitsmann, der eben ein Billet gelöst hatte, die Worte auf: man reißt ja mehr am Schuhwerk ab, wenn man zu Fuße geht, als das Fahrgeld beträgt; und da er nun auf einem Baume, wo viele seiner Kameraden im Laube beisammen saßen, ganz keck mit der Behauptung hervortrat: man reisse ja mehr an den Federn ab, als ein Billet für den Tierwagen koste, so wollte von da an auch kein Vogel mehr auf dem ganzen Harz nach Braunschweig zur Messe fliegen. Auch behaupteten die Weibchen, es schicke sich gar nicht mehr jetzt nach Braunschweig zur Messe zu fliegen, was denn die Menschen dazu sagen sollten? Genug, es musste Rat geschafft werden, und dazu bot sich wohl Gelegenheit. Der Lokomotivführer nämlich kam mit seinem Zuge jeden Morgen gegen elf Uhr, und blieb in Harzburg bis den Nachmittag, wo er zurückfuhr. Gewöhnlich setzte er sich dann mit seinem Glase in die Laube im Garten eines Wirtshauses, welches dicht am Fuße hoher bewaldeter Berge liegt. Hier trank er tüchtig und hatte seine Freude an den bunten Vögeln auf den Bäumen, und an den Häschen, die hin und wieder durch den Zaun in den Kohl des Wirths schlüpften. Dies benutzten die klugen Geschöpfe und brachten ihn durch ihr einschmeichelndes Wesen endlich zu dem Versprechen, dass er einmal einen Extrazug für die Tiere aus dem Harzwalde zur Braunschweiger Messe veranstalten wolle. An einem Sonntagmorgen stand er sehr zeitig auf in Braunschweig, schob die Lokomotive aus dem Schuppen und hing eine Reihe von Tierwagen daran. In aller Frühe fuhr er ab, sodass er hoffen konnte, schon zu rechter Zeit wieder zurück in Braunschweig zu sein, wenn der erste Zug für die Menschen abgehen musste. Auf den Wiesen und an den Bäumen glitzerte der Tau, und der erste Sonnenstrahl drang eben durchs Gebüsch, als die Lokomotive im Felde am Fuße des Harzwaldes hielt. Das Wild und die Vögel waren noch nicht einmal alle wach, sie sprangen aber nun rasch auf aus Klee und Gebüsch und freuten sich über den schönen Sonntag-Morgen, auf den ihre Reise nach Braunschweig fiel. Nun hättet ihr sehen sollen, wie die Hirsche und Rehe und alle die verschiedenen Vögel auf dem Dampfwagen Platz nahmen. Aus dem Walde und aus den Feldern kamen sie herbei, die Hirsche sprangen, die Häschen kletterten, die Vögel flatterten herein. Die Lokomotive pfiff, und es dauerte nicht lange, so waren sie Alle in Braunschweig. Auf dem Bahnhofe in Braunschweig aber erging es ihnen schlecht, denn dort stand die Polizei und fragte: „Habt ihr auch wohl einen Pass? he? he? Ihr Hirsche, ihr Rehe, ihr Häschen, ihr Kaninchen, ihr Finken, ihr Drosseln, habt ihr auch wohl einen Pass? he? he?“ Da erschraken die Tiere alle, denn keines von ihnen hatte einen Pass. Die Polizei aber wurde sehr böse und sagte: die Tiere, welche sich nicht legitimieren könnten, sollen Alle geschlachtet werden. Da fingen die Tiere alle an zu weinen. Die Vögel aber sagten: sie seien hier schon so viele Jahre zur Messe hergekommen und hätten niemals einen Pass gebraucht. Das sei eine neue Manier, dass ein Vogel einen Pass haben solle, rief ein alter Reiher aus, und die Rohrsperlinge fingen an furchtbar auf die Polizei zu schimpfen. Weil nun die Vögel sich darauf berufen konnten, dass sie schon sehr oft in Braunschweig gewesen waren und niemals einen Pass gebraucht hatten, so ließ man sie auch wieder fliegen, und sie machten, dass sie so schnell als möglich wieder nach dem Harzgebirge kamen. Die andern Tiere aber wurden unerbittlich geschlachtet, und die Kinder, welche in diesen Tagen über den Wildmarkt in Braunschweig gingen, freuten sich über das viele schöne Wild, das dort zum Verkaufe aushing; noch mehr aber freuten sie sich, wenn sie es des Mittags bei Tische gebraten vor sich sahen. |
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