zurück || Homepage

Kapitel

Vorwort
Eine Schlägerei und der Ritterschlag

Das Abenteuer am Kreuzweg

Der Kampf mit den Windmühlen
Ein halbes Ohr und ein halber Heim
Das verhexte Wirtshaus
Der Ritter zwischen Himmel und Erde
Die Heimreise im Käfig
Wasserburg und Wellenbad
Der Flug auf dem hölzernen Pferd
Der Einzug in Barcelona

Don Quichotte
Erich Kästner


Der Ritter zwischen Himmel und Erde

Don Quichotte war davon nicht abzubringen, dass die Weinschläuche Riesen und Zauberer gewesen seien und dass er viel eher Lob als Vorwürfe verdiene. Schließlich gab Sancho Pansa dem Wirt für den vergossenen Rotwein heimlich ein paar Goldstücke, und somit waren alle zufrieden. Der Wirt hatte sein Geld. Der Ritter hatte seine Riesen und Zauberer. Und die Gäste hatten ihren Spaß.

So waren alle damit einverstanden, als Don Quichotte am nächsten Abend verkündete, die Burg müsse des Nachts bewacht werden und er selber wolle die erste Nachtwache übernehmen. Er werde gut aufpassen, dass sich nicht neue Riesen und Zauberer ins Schloss schlichen, um die gestrigen zu rächen. Als es dunkel wurde, nahm er die Lanze, stieg aufs Pferd und postierte sich im Hof. Pferd und Reiter rührten sich nicht und sahen aus wie ein Denkmal.

Als die anderen schliefen, kletterten Maritorne, das Dienstmädchen, und die Tochter des Wirts kichernd auf den Heuboden, dessen Luke zum Hof hinausging. Dann riefen sie Don Quichotte herbei und erzählten ihm, flüsternd und mit verstellter Stimme, eine abenteuerliche Geschichte. »Ich bin das, Burgfräulein«, wisperte die Wirtstochter, »und, ach, Herr Ritter, ich liebe Euch!« - »Der Burggraf, ihr strenger Vater, hat sie deshalb hier oben eingesperrt«, flüsterte Maritorne. - »Helft mir in den Burghof 1 « bat die Wirtstochter. »Hebt mich auf Euer Ross und reitet mit mir davon!« - »Sie wird Euch bis ans Ende der Welt folgen«, versicherte das Dienstmädchen. »Und wenn auf Eurem Pferd noch ein dritter Platz frei ist, komm' ich auch mit! «

Don Quichotte wurde angst und bange. Er sagte: »Eure Liebe ehrt mich, edles Fräulein, aber meine Dame ist Dulzinea von Toboso, und ihr bin ich treu!« Da begann die Wirtstochter zu weinen. Und Maritorne bat: »So gebt ihr wenigstens die Hand zum Abschied!« - »Die Hand, die ich so liebe!« seufzte die Wirtstochter kläglich. Da stieg der Ritter tatsächlich auf Rosinantes Sattel und steckte seine Hand in die Bodenluke. Darauf hatten die zwei Mädchen nur gewartet! Sie warfen eine feste hänfene Schlinge über die Hand, banden das Ende des Stricks an einen Dachbalken und rannten lachend in ihre Betten.

Nun stand Don Quichotte also auf seinem Pferd, hatte die Hand in der Schlinge und konnte nicht vor und nicht zurück! Zum Glück war der Gaul müde und verschlafen und rührte sich nicht von der Stelle. Aber die Stunden vergingen langsam. In der Ferne schlugen die Turmuhren. Die Nacht ließ sich viel Zeit. Und dem Ritter taten die Knochen weh. Er stand und stand und stand und brachte die Hand nicht aus der Schlinge. Die Sonne ging auf. Die Vögel sangen. Don Quichotte stand und konnte sich nicht rühren.

Gegen Morgen sprengten vier Reiter in den Hof. Sie und ihre vier Pferde hatten Hunger und Durst, und die Männer riefen laut nach dem Wirt. Plötzlich bemerkten sie den Ritter, der in voller Rüstung, mit erhobner Hand und mit dem Gesicht zur Wand auf der Rosinante stand, und sie wunderten sich sehr. Auch eins ihrer vier Pferde wunderte sich und trabte näher. Da drehte sich Rosinante neugierig um, tat einen Schritt zur Seite - und schon hing Don Quichotte zwischen Himmel und Erde, in der Luft!

Er hing in der Luft und schrie wie am Spieße, weil der Strick nicht nachgab und der Arm und die Hand aus den Gelenken gesprungen waren. Maritorne, das Dienstmädchen, lief rasch auf den Heuboden und schnitt den Strick vom Balken. Im gleichen Augenblick fiel der Ritter krachend mitten in den Hof. Man hob ihn auf, trug ihn ins Bett und renkte ihm die Knochen wieder ein. Dann wollten alle wissen, wie er denn in die Schlinge und in die Luft geraten sei. Aber er sagte nur, dass ihn gefährliche Zauberer an den Strick gehext hätten. Und mehr war aus ihm nicht herauszubringen.