zurück || Homepage

Kapitel

Vorwort
Eine Schlägerei und der Ritterschlag

Das Abenteuer am Kreuzweg

Der Kampf mit den Windmühlen
Ein halbes Ohr und ein halber Heim
Das verhexte Wirtshaus
Der Ritter zwischen Himmel und Erde
Die Heimreise im Käfig
Wasserburg und Wellenbad
Der Flug auf dem hölzernen Pferd
Der Einzug in Barcelona

Don Quichotte
Erich Kästner


Eine Schlägerei und der Ritterschlag

Die Haushälterin und deren Nichte suchten ihren Herrn und Gebieter wie eine Stecknadel. Und als sie ihn nicht finden konnten, holte die Nichte seine Freunde, den Pfarrer und den Barbier, herbei, und nun suchten sie zu viert. Doch sie fanden nur, dass auch das Pferd verschwunden war. Da begannen sie sich Sorgen zu machen und zu warten. Doch sie warteten vergeblich.

Inzwischen ritt Don Quichotte auf seiner dürren Rosinante über staubige Straßen und an Feldern und Olivenhainen vorbei, der Stadt Sevilla und seinen zukünftigen Abenteuern entgegen. Keine Wolke stand am tiefblauen Himmel. Die Sonne brannte. Und das Gras roch versengt. Ross und Reiter hatten schrecklichen Durst. Aber nirgends floss ein Bach, und nirgends stand ein Wirtshaus. Nicht einmal den Helm konnte Don Quichotte abnehmen. Denn er hatte ihn mit Bändern unterm Kinn fest zugeknotet, und nun konnte er die Knoten nicht wieder aufknüpfen! Der Schweiß brannte ihm in den Augen und lief ihm unterm Harnisch den Rücken hinunter, doch er biss die Zähne zusammen und dachte: Ein rechter Ritter darf nicht murren.

Plötzlich zuckte er vor Schreck zusammen und rief laut: »Ich bin ja noch gar kein Ritter! « Da erschrak auch das Pferd und galoppierte zehn Minuten lang, als sei es von einer Hummel gestochen worden. Dann blieb es, mit heraushängender Zunge, stehen. »Ich bin ja noch gar kein Ritter«, wiederholte Don Quichotte betrübt. »Mir fehlt ja noch der Ritterschlag!« Doch seine Betrübnis wurde nicht alt. Er warf den Kopf zurück, dass der reparierte Helm schepperte, und sagte stolz zu sich selber: »Der erste Mann, der mir begegnet, soll mich zum Ritter schlagen!«

Der erste Mann, der ihm begegnete, war ein dicker Wirt, der mit ein paar Eseltreibern und zwei Kellnerinnen vor seiner Kneipe saß. Das war eine dürftige Spelunke. Doch Don Quichotte hielt sie für ein altes Kastell, den Wirt für den Burgherrn und die Kellnerinnen für Schlossfräulein. Als man ihm vom Gaul geholfen hatte, kniete er vor dem Wirt nieder und bat diesen, ihn feierlich zum Ritter zu schlagen, da er vorher weder die Armen verteidigen noch die Bösen zerschmettern dürfe. Der Wirt, der nicht wusste, ob er lachen oder sich fürchten sollte, sagte ja und amen. Man müsse aber, fügte er hinzu, bis zum nächsten Sonnenaufgang warten, das sei beim Ritterschlag üblich. Und der Kandidat müsse die Nacht über seine künftigen Waffen bewachen. Möglichst in einer Kapelle. Nun habe er zwar keine Kapelle, aber der Burghof eigne sich genauso gut. »Burghof«, sagte er, weil der seltsame Gast das Wirtshaus ja für eine Burg hielt.

Don Quichotte war einverstanden, erhob sich von seinem Kniefall und setzte sich zu Tisch. Es gab Stockfisch, hartes Brot und sauren Wein, und die Kellnerinnen wollten ihm den Helm abnehmen. Doch auch sie brachten die Knoten nicht auf. Und so mussten sie den künftigen Ritter, der den Mund nur einen Spalt öffnen konnte, bissenweise füttern, und den Wein trank er durch einen Strohhalm.

Nachts ging er dann im Hof wachsam auf und ab. Den Harnisch und den Helm hatte er behutsam auf den Viehtrog neben dem Brunnen gelegt. Die Lanze hielt er aber im Arm, und das war gut so. Denn ein paar Stunden später kamen zwei Eseltreiber zum Brunnen, um ihre Maultiere zu tränken. Da sie den Trog mit Wasser füllen wollten, warfen sie den Harnisch und den Helm achtlos auf die Erde. Das hätten sie nicht tun sollen! Schon war Don Quichotte zur Stelle und schlug ihnen mit der Lanze über den Kopf. Sie fielen um und schrien wie am Spieß. Der Wirt sprang aus dem Bett, rannte in den Hof hinunter, sah die Bescherung und rief: »Es ist soweit, edler Herr! Kniet nieder! Die Sonne geht auf! «

Da stieg Don Quichotte in seine Rüstung, kniete nieder und ließ sich von dem dicken Wirt, der dabei allerlei murmelte und ihm mit dem Schwert auf die Schulter klopfte, zum Ritter schlagen.

Ihm war sehr feierlich zumute.

Anschließend bedankte er sich tausendmal, nahm seine Waffen, stieg auf die Rosinante und ritt, vom Gelächter der Kellnerinnen und von den Flüchen der Eseltreiber begleitet, aus dem Tor. Endlich war er ein richtiger Ritter!