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Die Alte und das Feuer
Märchen der Provence


Einst geriet Gottvater in großen Zorn über die Menschen, denn sie hielten sich nicht an seine Gebote. Herzlos gingen sie miteinander um, und sie betrogen und belogen einander, dass es nur so eine Art hatte. Lange, lange Zeit schon hatte der Herr dies alles in seiner großen Güte und Geduld ertragen.
Aber nun war es auch ihm zuviel geworden, denn jetzt wagten die Menschen gar, die heilige Fastenzeit zu verletzen, und aßen, tranken, sangen und feierten nach Herzenslust. Der Braten- und Weinduft drang bis in den Himmel hinauf, und die Wände der heiligen Hallen erzitterten von wilden Gesängen.
Da sprach endlich der Allerhöchste: „Ich will die Menschheit um ihrer Sünden willen bestrafen. Fortan sollen die Menschen kein Feuer mehr besitzen! „

Da hob auf der Erde ein Jammern und ein Klagen unter den Menschen an, mussten sie nun das Fleisch roh verzehren und konnten auch kein gekochtes Gemüse mehr essen. Nicht einmal ein Pfeiflein konnten sie mehr rauchen und kein Brot und keinen Kuchen mehr backen.
Die Erde wurde traurig wie das Grab. Sie war wie ein Leib ohne Seele. Die Menschen gingen trübsinnig umher, und so war es nicht weiter verwunderlich, dass auch ihre Lieder verstummten und schließlich auch die Liebe erlosch.
Trotz seiner unermesslichen Weisheit hatte Gottvater dies nicht alles vorhergesehen. Das Allerschlimmste aber für ihn war, dass sich die Menschen weniger denn je um Religion kümmerten.
Da scharte Gott der Herr alle Engel und Heiligen um sich und fragte sie um Rat, was hier zu tun sei. Lange schwiegen die himmlischen Heerscharen. Endlich aber erhob sich der schöne, lichte Gabriel und sprach: „0 Herr, wenn Ihr gestattet, so lasst mich hinab zur Erde gehen. Als Feuerverkäufer möchte ich zu den Menschen gehen und ihnen meine Wäre auf dem Markt feilhalten. Sie werden kommen und mir dafür all ihre Schätze anbieten, denn groß ist ja ihr Verlangen danach. Ich werde ihnen aber kein Fünkchen Glut geben, wenn sie mir nicht versprechen, von nun ab ein frommes und sündenfreies Leben zu führen. Wer mir aber solches gelobt, dem will ich das Feuer schenken. „
Alle Versammelten bewunderten Gabriels große Klugheit und klatschten laut Beifall. Mit vielen Segenswünschen wurde er zur Erde hinabgesandt.

Groß war die Freude der Menschen, als sie den Feuerverkäufer erblickten. Groß aber war auch ihre Bestürzung, als jener sprach: „Verkäuflich ist mir das Feuer nicht, aber wenn ihr mir ein Leben in Vollkommenheit und Gottesfurcht gelobt, so schenke ich es euch. „
Niemand wagte, solches zu geloben. Zu gut kannten sie sich selbst, und zu gut wussten sie um ihre Schwächen und Sünden.
Als die Nacht hereinbrach, wollte der Engel traurig ins Paradies zurückkehren. Doch da humpelte eine alte Frau auf seinen Marktstand zu. Sie war gezeichnet von Armut und Alter.
„Gebt mir doch nur ein winziges Fünkchen von Eurem Feuer! „ bettelte sie. Dabei berührte sie mit ihrem Stock ein brennendes Stück Kohle. Gabriel antwortete ihr und sprach, was er allen anderen Menschen zuvor schon gesagt. Nachdenklich berührte die Alte ein zweites Stück Kohle mit ihrem Stock. Noch einmal bat und bettelte sie, doch Gabriel sprach, er könne ihr nichts von dem Feuer geben, wenn sie nicht ein vollkommenes, sündenfreies Leben gelobe.
Unterdessen hatte die Alte ein drittes Stück brennender Kohle mit ihrem Stock berührt. Dann ging sie murrend hinweg.
Der Engel kehrte seufzend ins Paradies zurück, um dort von seinem Missgeschick zu berichten. Wie aber wunderten sich Gottvater und alle Bewohner des Himmels, als auf einmal Bratenduft und Pfeifenrauch und laute fröhliche Gesänge zu ihnen emporstiegen.
Was war geschehen? Gabriel war ein Opfer der Weiberlist geworden: Die Alte hatte soviel Glut mit ihrem Stock aufgefangen, wie für ihren heimischen Herd notwendig war. Weil Gabriel nicht daran gedacht hatte, dass ihr Stock aus Holz war, konnte sie damit ein schönes Feuer entfachen und allen Nachbarn und allen Menschen das Feuer bringen.
Gabriel wollte sich erbosen in seinem Zorn, denn er war gekränkt in seinem Stolz.
Der Allmächtige aber hielt ihn zurück und lachte von Herzen. In seiner unendlichen Güte vergab er der alten Frau und der ganzen Menschheit und ließ sie das Feuer behalten und freute sich, wenn Lieder zu seinem Lob und Preis erklangen.


Dieses Märchen wurde mir von Dieter [ chax@wtal.de ] zur Verfügung gestellt.