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Die Sage vom Prinzen Achmed al Kamel, dem Liebespilger
Es lebte einmal in Granada auf der Alhambra ein maurischer König, dessen einziger Sohn Achmed hieß. Die Höflinge gaben ihm den Beinamen Al Kamel, der Vollkommene, wegen der unzweifelhaften Beweise und der vielen Anzeichen von Klugheit und Charakterstärke, die sie schon in seiner Kindheit an ihm bemerken konnten. Die Astrologen bestätigten in ihren Auskünften die Meinung der Hofleute und prophezeiten dem Prinzen für die Zukunft all das, was einen Herrscher vollkommen, glücklich und beliebt machen kann. Eine einzige Gewitterwolke nur schwebe über ihm, und auch die wäre rosigster Natur, so sagten die sternkundigen Weisen: er würde, meinten sie, sich leicht und heftig verlieben, und in Folge dieser zärtlichen Leidenschaft zu Liebeshändeln und galanten Abenteuern in große Gefahren geraten. Wenn er aber bis in sein mannbares Alter allen Lockungen und Zartheiten der Liebe fest widerstünde, dann, so meinten die Astrologen weiter, könnten derartige Gefahren und deren Folgen vermieden werden, und das spätere Leben des Prinzen Thronfolgers werde glücklich verlaufen. Um alle derartigen Widerwärtigkeiten zu vermeiden, beschloss der König in seiner Weisheit, den Prinzen in einer Umgebung erziehen zu lassen, wo er nie ein weibliches Wesen zu Gesicht bekäme oder auch nur das Wort Liebe hören könnte. Zu diesem Zweck baute er auf dem der Alhambra gegenüberliegenden Berg einen herrlichen Palast, ließ dort die wundervollsten Gärten anlegen und dann herum eine hohe Mauer errichten. Anlagen und Palast stehen heute noch und sind unter dem Namen »Generalife" .weithin bekannt und berühmt. In diesem Prunkgebäude wurde der jugendliche Prinz eingeschlossen und der Obhut des Eben Bonabben anvertraut. Es war dies ein großer Gelehrter aus Arabien, trocken und uncharmant wie seine Papyrusrollen, der den größten Teil seines Lebens in Ägypten mit dem Studium der Hieroglyphen und dem Erforschen der Pharaonengräber hingebracht hatte. Ein solcher Hauslehrer entsprach natürlich den strengen Wünschen des Königs, denn der alte Ägyptologe zog Pyramidengräber und Mumien den verführerischsten Frauenschönheiten vor. Auf Anordnung der Hofkanzlei sollte der Weise den Prinzen in allen Disziplinen unterrichten und ihm jedes Wissen vermitteln, mit einer einzigen Ausnahme, denn nie 4 durfte er erfahren, fühlen und kennen, was Liebe sei. Streng sagte der König zu dem Weisen aus dem Morgenland: »Wende zu diesem Zweck jede Vorsichtsmaßregel an, die du für geeignet hältst; allein bedenke, o Eben Bonabben, dass du einen Kopf kürzer gemacht werden wirst, wenn mein Sohn während seiner Studienzeit mit dir etwas von diesen verbotenen Kenntnissen erfahren würde. « Mit trockenem Lächeln antwortete der weise Bonabben auf die Drohung und sprach dann überlegt und jedes Wort betonend: »Möge dein königliches Herz so unbesorgt um deinen Sohn sein, wie es das meinige um meinen Kopf ist. Glaubst du etwa, dass ich etwas von Frauenschönheit, Üppigkeit, Lust und Lüsternheit verstände und über Liebe dozieren könnte?« Unter der wachsamen Obhut des Philosophen wuchs der Prinz in der Abgeschiedenheit des Palastes und Einsamkeit der ummauerten Gärten auf. Zur Bedienung hatte er schwarze Sklaven, hässliche Geschöpfe, die bei ihrer Scheußlichkeit nichts von Liebe wussten, oder, wenn es er Fall sein sollte, keine Worte hatten, es anderen mitzuteilen, denn alle waren sie stumm, die einen von Geburt her, die anderen auf Grund eines Eingriffes des königlichen Scharfrichters. Auf die Heranbildung der geistigen Anlagen des Prinzen verwandte Eben Bonabben besondere Sorgfalt und suchte ihn möglichst bald in die geheimen Weisheiten Ägyptens einzuweihen. Doch in diesem Fach machte der Prinz nur wenig Fortschritte, und bald zeigte es sich, dass er zur Philosophie absolut keine Neigung hatte. Aber er war ein auffallend gehorsamer junger Mann, ließ sich leicht beeinflussen und gab in der Regel seinen guten Ratgebern recht. Auch war er sehr höflich, unterdrückte das Gähnen und hörte geduldig den langen und gelehrten Ausführungen Eben Bonabbens zu, von denen er gerade so viel verstand, dass er sich mit der Zeit ein etwas allgemeines Wissen aneignen konnte, das für seine zukünftige Herrscherlaufbahn unumgänglich notwendig war. Achmed erreichte so glücklich das zwanzigste Lebensjahr, ein Wunder prinzlicher Weisheit, allein ein Ignorant in Sachen Liebe, von deren Existenz er nie gehört hatte. Um diese Zeit änderte sich jedoch merklich das Benehmen des Prinzen. Er vernachlässigte vollständig seine Studien, streifte viel in den Gärten umher oder saß stundenlang am Brunnenbecken und schaute grübelnd ins Wasser. Früher schon hatte er manchmal etwas Musik getrieben; doch jetzt nahm sie einen großen Teil seiner Zeit in Anspruch. Sein Sinn für Dichtkunst und Gesang war erwähnenswert, und den von ihm verfassten Liedern und Gedichten konnte eine gewisse Poesie nicht abgesprochen werden. Bei all diesen merkwürdigen Anzeichen wurde der weise Eben Bonabben unruhig und bemühte sich, dem jungen Mann die eitlen Launen mit einem tiefschürfenden Vortrag über Algebra auszutreiben. Aber der Prinz unterbrach ihn voll Unlust und sagte: Ach kann die Algebra nicht ausstehen; sie ist mir verhasst. Ich will etwas hören, das zum Herzen spricht! « Der Weise schüttelte bei diesen Worten sein welkes Haupt und dachte bei sich: »Jetzt ist's mit der Philosophie aus! Der Prinz hat entdeckt, dass er ein Herz hat. « Mit ängstlicher Sorgfalt überwachte er seinen Zögling und sah, wie es in seinem Innern arbeitete, dass ein liebevolles Herz und Gemüt nach einem Gegenstand suchte, den es beglücken durfte, um wieder beglückt zu werden. Ziellos wandelte Achmed durch die Gärten des schönen Generalife und suchte dort ein Wesen, das er beglücken könnte. Wie weltfern träumte er manchmal vor sich hin, dann griff er zur Laute und entlockte ihr die rührendsten Melodien, bis ihn auch das Saitenspiel ermüdete und das herrliche Instrument seinen Händen entfiel, wobei er tief seufzte und laut klagend auf den Boden starrte. Nach und nach nahm aber die Liebe des Prinzen festere und etwas konkrete Formen an. So pflegte er seine Lieblingsblumen mit ganz besonderer Sorgfalt und lag dann wieder träumend im Schatten einer schlanken Pinie, der seine spezielle Zuneigung galt; in ihre Rinde schnitt er Namen und astrologische Schriftzeichen, hing Blumengewinde in ihr Gezweig und besang des Baumes Schönheit in zarten Versen, während er dazu die Laute schlug. Eben Bonabben beruhigte natürlich dieses exaltierte Benehmen seines Zöglings wenig, den er gleichsam schon vor der verschlossenen Pforte sah, die zu jenem Wissen führte, das ihm sein Vater vorenthalten wollte. Das unscheinbarste Ereignis konnte diese Tür weit öffnen, der leiseste Wink ihm das verhängnisvolle Geheimnis kundtun. Um das Wohl des Prinzen besorgt und um die Sicherheit des eigenen Kopfes zitternd, beschloss er schnell zu handeln, denn nur so konnte das Schlimmste vermieden werden. Der lammfromme Jüngling musste im Schlossturm seine Wohnung aufschlagen, und scharfe Wachen unterbanden seine die Nerven aufreizende Spaziergänge durch den weiten Garten mit seinen verführerischen Rondellen, Laubengängen und Brunnenanlagen. Die neuen Gemächer lagen im höchsten Stockwerk des Bergfrieds, waren mit ausgezeichnetem Geschmack eingerichtet, und von den Balkonen genoss man eine herrliche Rundsicht über die Vega, Allerdings bis zu diesen Wohnräumen hinauf drang kein süßer Duft von Blumen und Blüten, kein Rauschen der springenden Wasser und auch nicht das Summen der Honig suchenden Bienen, nichts von all dem, was in Achmeds Gemüt Veränderungen herbeigeführt und in ihm bisher unbekannte Gefühle plötzlich hatte aufkommen lassen. Doch war es notwendig, ihn mit diesem Zwang auszusöhnen und dafür zu sorgen, dass er anderweitige Ablenkungen fand. Das schien allerdings anfänglich schwierig, denn der weise Lehrer hatte bereits alle seine Kenntnisse zerstreuender Art erschöpft, und über Algebra und Physik, Astronomie und Heilkunde durfte man mit dem jungen Mann ja nicht mehr sprechen. Aber auch hier fand Eben Bonabben einen Ausweg. Glücklicherweise verstand er die Sprache der Vögel; während seines Aufenthaltes in Ägypten lehrte sie ihn ein jüdischer Rabbiner, der seine Kenntnisse in gerader Linie bis auf Salomon den Weisen zurückführte, welcher bekanntlich bei der Königin von Saba darin unterrichtet worden war. Schon bei der Erwähnung eines solchen Studiums funkelten dem Prinzen vor Erregung die Augen, und er arbeitete mit solchem Eifer, dass er in kürzester Zeit diese Kunst ebenso beherrschte wie sein Lehrer. Von nun an war für ihn der Turm des Generalife kein gar so einsames Gefängnis mehr; er hatte einige Gefährten, mit denen er reden konnte und die ihm allerhand Neuigkeiten brachten und erzählten. So machte er zu allererst die Bekanntschaft mit einem Habicht, der in einer Mauerspalte auf der hohen Turmzinne sein Nest gebaut hatte, von wo aus er weit und breit herumstreifte und die Gegend nach Beute absuchte. Der Prinz indessen fand eigentlich wenig Gefallen an dem gefederten Strauchritter. Er war ein simpler Pirat der Lüfte, ein großsprecherischer Prahlhans, dessen Geschwätz sich nur um Raub, Totschlag und mörderische Greueltaten drehte. Darauf lernte er eine Eule kennen; das war ein sehr weise aussehender Vogel, mit einem riesigen Kopf und starr glotzenden Augen, der tagsüber in einem Mauerloch vor sich hinblinzelte und nur während der Nacht ausflog. Viel bildete sich der Uhu auf seine tiefschürfende Weisheit ein, hielt Vorträge über Astrologie, sprach von Mond und Sternen und gab gelegentlich auch Aufklärungen, die ganz geheimes Fachwissen betrafen. Doch er redete auch über Metaphysik, und der Prinz fand, dass die diesbezüglichen Vorlesungen noch viel langweiliger waren als die unausstehlichen Belehrungen des weisen Eben Bonabben. Dann war noch eine Fledermaus da, die den ganzen Tag an ihren Beinen in einer der dunkelsten Ecken des Gewölbes hing und erst in der Dämmerung aufwachte, um schrill aufpfeifend durch Hallen und Gärten zu flattern. Es war ein merkwürdiges Tier; es hatte von allen Dingen nur ganz verschwommene Ideen, und mit zwielichtigem Verständnis spottete es über Sachen und Gedanken, von denen es kaum gehört hatte. Auch war der Flatterer sehr mürrisch und schien an nichts Gefallen zu finden. Zu diesen Genossen stellte sich auch noch eine Schwalbe ein, die anfangs dem Prinzen wirklich sehr gut gefiel, denn sie war eine nette Gesellschafterin und zerstreute den einsamen Jüngling mit ihrem Gezwitscher. Doch war sie ruhelos, und geschäftig flog sie von einem Ort zum andern; immer unterwegs, blieb sie selten lang genug auf einem Fleck, um ein ordentliches Gespräch führen zu können. Es erwies sich, dass sie eine ganz gewöhnliche Schwätzerin und Klatschbase war, die über alles Bescheid zu wissen meinte und doch nichts wusste. Dies waren die einzigen gefiederten Freunde, die Achmed hatte. Der Turm war viel zu hoch, als dass andere Vögel ihn hätten erreichen können. Bald wurde jedoch der arme Prinz seiner gefiederten Bekannten überdrüssig, deren Unterhaltung weder seinen Verstand und schon gar nicht sein Herz ansprachen. Wieder saß er verlassen und trübsinnig in seinem einsamen Turmzimmer und starrte traurig vor sich hin. So verging der kalte Winter, und der Frühling hielt seinen Einzug mit all den Blumen und Blüten, dem saftigen Grün und den lieblichen Düften, die diese Jahreszeit auszeichnen. Die Natur erwachte aus ihrem Winterschlaf; alles begann zu sprießen und zu wachsen. Die Zeit war da, wo die Vögel sich paarten und ihre Nester bauten. In den Hainen und Gärten des Generalife hörte man ein Singen und Raunen, das bis ins einsame Turmzimmer zum gefangenen Prinzen hinaufklang; von allen Seiten erschollen Lieder, ein Fragen und Werben mit dem gleichen Thema, das immer wieder in ... Liebe-Liebe-Liebe ... ausklang. Schweigend und verwirrt horchte Achmed erstaunt auf und fragte sich verwundert: »Was mag wohl diese Liebe sein, von der die ganze Welt so voll ist? Was kann dieses Ding nur bedeuten, von dem ich noch niemals gehört habe?« Er wandte sich also an seinen Freund, den Habicht, und bat ihn um Aufklärung. Doch der wilde Vogel antwortete verächtlich: »Da musst du dich schon an die gewöhnlichen Vögel wenden, die in Gärten und Wäldern friedlich ihr Dasein fristen und dazu da sind, uns, den Fürsten der Lüfte, als Jagdbeute zu dienen. Mein Handwerk ist der Krieg und Kämpfen meine Freude. Ich bin ein harter Mann und weiß nichts von den Dingen, die man Liebe nennt. « Mit Abscheu wandte sich der junge Prinz vom wilden Habicht ab und suchte die philosophierende Eule an ihrem Zufluchtsort auf. Das ist ein Vogel von friedlichen Sitten und Bräuchen, sagte er sich, und wird sicherlich imstande sein, meine Frage zu beantworten. So bat er denn die Eule, ihm zu sagen, was es mit der Liebe für ein Bewandtnis habe, von der alle Vögel unten in den Wäldchen und Gärten sängen. Als der Uhu diese so vulgäre Frage hörte, schaute er würdevoll auf und sagte mit beleidigter Stimme: »Ich bin Forscher und verbringe die Nächte mit klugen und klaren Studien, und während des Tages denke ich über das nach, was ich gelernt habe und was mir gelehrt wurde. Die Singvögel, von denen du sprichst, sind für mich nicht vorhanden; ich höre sie nicht und verachte ihre dummen Lieder. Allah sei gepriesen! Ich kann nicht singen, aber ich bin ein Philosoph und Astronom, der von den Dingen da, die man Liebe nennt, nichts weiß.« Verwirrt begab sich nun Achmed ins Gewölbe, wo seine Freundin, die Fledermaus, wie gewöhnlich an ihren Füßen kopfabwärts hing und stumm vor sich hin träumte. Er legte auch ihr die für ihn so wichtige Frage vor. Die Fledermaus runzelte ihre Nase und antwortete recht schnippisch: »Warum störst du mich mit dieser blöden Frage in meinem Morgenschlaf? Du solltest wissen, ich fliege nur in der zwielichtigen Dämmerung umher, wenn alle Vögel schlafen und kümmere mich um ihr Treiben nicht. Ich bin weder Vogel noch Säugetier, wofür ich dem Himmel danke. Ich habe sie alle als Schurken kennengelernt und hasse alles, was da fleucht und kreucht. Mit einem Wort: Ich verachte dieses Gesindel und ihre Welt und weiß nichts von den Dingen, die man Liebe nennt.« Nun blieb dem Prinzen nur noch die Schwalbe, an die er sich wenden konnte. Er suchte sie sogleich auf und traf sie nach längerem Suchen oben auf der Turmspitze, wo er sie sogleich anhielt und ihr sein Herz ausschüttete. Die Schwalbe war, wie gewöhnlich, in großer Eile und hatte kaum Zeit zu antworten. »Auf mein Wort«, schnatterte sie gleich los, »ich habe so viele öffentliche Geschäfte zu besorgen und so viel zu tun, dass ich bis heute noch keine Zeit gefunden habe, über dieses Thema nachzudenken. Ich habe jeden Tag tausend Besuche zu machen, mich um tausend Sachen von Wichtigkeit zu kümmern, so dass mir kein Augenblick frei bleibt, mich mit derartig unbedeutendem Firlefanz zu beschäftigen. Ich bin eine freie Weltbürgerin und weiß nichts von dem, was man Liebe nennt. « Mit diesen Worten schoss die Schwalbe ins Tal hinunter und war im Nu in der Ferne verschwunden. Der junge Mann war zutiefst enttäuscht, dass keiner seiner Freunde ihm sagen konnte, was Liebe eigentlich sei. Die Schwierigkeiten, etwas darüber zu erfahren, aber stachelten seine Neugier nur noch mehr an, und er beschloss, der Sache nun auf den Grund zu gehen, koste es was es wolle. In dieser gefährlichen Gemütsverfassung traf ihn der alte Lehrer auf der Plattform des Turmes an. Der Prinz ging schnell auf ihn zu und rief aufgeregt: »0 Eben Bonabben, weisester aller Lehrer, du hast mich viel gelehrt, mir viele irdische Geheimnisse enthüllt! Es gibt aber einen Gegenstand, von dem ich nichts weiß, dessen Sinn und Form ich nicht kenne. Ich bitte dich, mich darüber aufzuklären, denn ich will erkennen, worum es sich handelt. « »Mein Prinz hat nur die Frage zu stellen, und alles, was im beschränkten Bereich meiner Kenntnisse ist, steht ihm bedingungslos zur Verfügung.« »So sage mir denn, du größter aller Weisen, was ist die Natur der Dinge, die man Liebe nennt?« Eben Bonabben war wie vom Blitz getroffen. Ihm wurde ganz übel zumute; er zitterte, das Blut wich aus seinen Wangen, und es schien ihm, als säße sein Kopf nur mehr ganz lose auf den Schultern. »Wie kommt mein Prinz auf solche Gedanken und zu einer solchen Frage? Wo mag er wohl so eitle und überflüssige Worte gehört haben?« Der Prinz führte ihn ans Turmfenster und auf den Balkon hinaus und sagte ernst mit verschleierter Stimme: »Hör einmal hin, o Eben Bonabben! « Und der Weise lauschte mit hellhörigem Ohr. Unten im Gebüsch saß eine Nachtigall und sang ein Liebeslied der Rose zu; aus jedem Wäldchen, von den Beeten, ja aus jedem Blütenzweig stiegen melodienreiche Hymnen auf, und tausendfach hörte man immer wieder: »Liebe! Liebe! Liebe!« »Allah akbar! Gott ist groß!«, rief der weise Bonabben aus, »wer könnte sich anmaßen, dieses Geheimnis dem Herzen des Menschen vorenthalten zu wollen, wenn es sogar die Vögel der Luft laut in die Natur hinausschmettern.« Dann wandte er sich Achmed zu und fuhr fort: »Junger Mann, verschließe dein Ohr, auf dass du nicht diese verführerischen Töne hörst! Und lass ab, nach dem Sinn und Sein von Dingen zu forschen, deren Kenntnisse deinem Geist und deiner Seele nur Unheil bringen werden. Wisse, diese Liebe ist die Ursache allen Übels, oder wenigstens fast aller Übel und der Hälfte allen Wehs, das die sterblichen Menschen dieser armen Welt zwischen seinen Mühlsteinen zu zermahlen droht. Sie ist es, die Hass und Streit zwischen Brüdern und Freunden zeugt, die den meuchlerischen Mord gebiert und furchtbare Kriege entfacht. Kummer und Sorge, traurige Tage und schlaflose Nächte sind ihr Gefolge. Sie bringt die Schönheit der Jugend zum Welken und vergiftet ihre frohen Stunden, was Übel und Elend und ein vorzeitiges Altern zur Folge hat. Allah bewahre dich, mein Prinz, er möge dich schützen! Dringe nie darauf, das zu wissen, was man Liebe nennt! « Nach diesen Worten verließ der weise Bonabben eiligst seinen Schüler. Er ließ ihn in größter Verwirrung zurück. Achmed konnte keine Ruhe finden; vergebens versuchte er, sich alle Gedanken an die Liebe aus dem Kopf zu schlagen, die ihn ständig quälten und seinen Geist erschöpften. Er kam über eitle Vermutungen nicht hinaus und konnte der Sache nicht auf den Grund kommen. »Merkwürdig«, überlegte er, »ich kann aus diesen herrlichen Melodien keinen Kummer heraushören«, als er dem Gesang der Vögel wieder und immer wieder lauschte, »in allem klingt Zärtlichkeit, aus jedem Ton spricht Freude! Wenn die Liebe wirklich die Ursache von so viel Elend und Streit wäre, warum trauern dann nicht diese Vögel schmachtend in der Einsamkeit der Wälder? Warum werden sie nicht zu wilden Faltern und reißen einander in Stücke? Warum flattern diese wunderbaren Geschöpfe fröhlich und zufrieden in den Gärten und Wäldchen herum und spielen miteinander unter Blumen und Blüten, wenn Liebe nur Hass, Zwietracht und Unglück zeugt?« Eines Morgens lag Achmed auf seinem Diwan und dachte angestrengt über diesen noch immer ungeklärten und ihm unerklärlichen Tatbestand nach. Das Fenster seines Zimmers stand offen, um den sanften Morgenwind hereinzulassen, der mit, dem feinem Duft aus den Orangengärten im Darrotal heraufkam. Leise hörte man den Sang der Nachtigall, das Zwitschern der Schwalben und Zirpen der Grillen und aus der Ferne her liebliches Saitenspiel. Während nun der Prinz melancholisch diesem zauberhaften Konzerte lauschte, weckte ihn lauter Flügelschlag aus seinen Träumen. Eine von einem Habicht verfolgte Taube schoss durchs Fenster ins Zimmer und fiel erschöpft auf den Fußboden, während der um seine Beute gebrachte Verfolger wieder zu seinem Horst in den Bergen zurückflog. Der jugendliche Prinz nahm den schwer keuchenden Vogel auf, strich ihm das Gefieder glatt und drückte ihn liebevoll an seine Brust. Es war ein Täuberich. Als es ihm endlich gelungen war, den schönen Vogel zu beruhigen, setzte er ihn in einen goldenen Bauer und gab ihm eigenhändig den feinsten Weizen und das reinste Wasser zur Atzung. Doch das Tier nahm keine Nahrung zu sich. Traurig und gramvoll saß es auf der Sprosse und seufzte erbarmungswürdig. »Was fehlt dir?« fragte Achmed besorgt. »Hast du nicht alles, was dein Herz begehrt?« »0 nein«, erwiderte der Täuberich, »ich bin von der Gefährtin meines Herzens getrennt und noch dazu im schönen Frühling, der glücklichen Jahreszeit der wahren Liebe!« »Der Liebe?« wiederholte Achmed. »Ich bitte dich, liebes Tier, kannst du mir sagen, was Liebe ist?« »Nur zu gut kann ich das, mein Prinz. Sie ist die Qual bei einem, das Glück bei zweien, sie bringt Streit und die Feindschaft bei dreien. Sie ist der Zauber, der zwei Wesen zueinander hinzieht, sie bei vorhandener Seelenverwandtschaft vereinigt und ihr Beieinandersein zum Glück, ihr Getrenntsein aber zum Unglück werden lässt. Gibt es kein Wesen, zu dem du in zärtlicher Neigung dich hingezogen fühlst?« »Ich liebe meinen alten Lehrer Eben Bonabben mehr als jedes andere Wesen; aber er redet oft langweilig, und hin und wieder fühle ich mich ohne seine Gesellschaft weit glücklicher.« »Das ist nicht die Seelenverwandtschaft, die ich meine. Ich rede von der Liebe, dem großen Geheimnis und dem schöpferischen Prinzip allen Lebens, für die Jugend ist sie Rausch und dem Alter ruhige Freude. Blicke hinaus, mein Freund, und sieh, wie zu dieser Jahreszeit die ganze Natur von Liebe erfüllt ist. jedes lebendige Wesen hat seinen Liebesgenossen; der unscheinbarste Vogel singt seiner Liebsten ein Lied, aus dem seine heißen Gefühle sprechen, selbst der Käfer im Staub und Mist wirbt jetzt um sein Weibchen, und jene Schmetterlinge, die du hoch über dem Turme flattern und in der Luft spielen siehst, sind glücklich in der Liebe. Ach, mein guter Prinz, wie konnten nur so viele Jahre deiner Jugend verstreichen, ohne dass du von der Liebe etwas erfahren hast? Gibt es kein zartes Wesen des anderen Geschlechts eine schöne Prinzessin, ein liebenswürdiges Burgfräulein, die dein Herz gewonnen und bei dir den Wunsch, von ihnen geliebt zu werden, erweckt hat?« »Ich fange an zu verstehen«, sagte der junge Prinz seufzend; »oft habe ich durchaus solche Empfindungen und eine ähnliche Unruhe in mir verspürt, aber ohne deren Ursache zu kennen. Doch wo sollte ich in meiner Einsamkeit und Abgeschlossenheit jenes Wesen suchen, in das ich Lange noch unterhielten sich beide, bis die erste Liebeslektion des Prinzen beendet war. Ernst blickte Achmed, dann murmelte er leise: »Wenn die Liebe wirklich eine solche Wonne ist und man ohne sie nur in seelischem Elend leben kann, so möge Allah verhüten, dass ich ein verliebtes Paar unglücklich mache!« Rasch öffnete er den Käfig, nahm den Vogel heraus, küsste ihn zärtlich und trug ihn zum Fenster. »Fliege, glücklicher Vogel, genieße die Jugend und freue dich zusammen mit deiner Gefährtin darüber, dass es Frühling ist. Du sollst in diesem traurigen Turm nicht mein Zellengenosse sein, hier, wo die Liebe keinen Zutritt hat. « Glücklich breitete der Tauber seine Flügel aus, hob sich mit einem Schwung in die Luft und schoss dann im Sturzflug hinunter zu den blühenden Lauben am Darro. Der Prinz folgte ihm mit den Augen bis er seinen Blicken entschwand. Nichts machte dem jungen Mann von nun an mehr Freude; nicht das Singen der Vögel, nicht das Zirpen der Grillen und auch nicht der berauschende Blumenduft von Rosen, Nelken und Orangenblüten. All das verstärkte nur seine Bitterkeit. Nach Liebe lechzte sein Herz! Liebe! Liebe! Ach, nun verstand er die Melodie, das Lied der Geschöpfe, das von Liebe sprach. Seine Augen sprühten Feuer, als er nach einigen Tagen den weisen Bonabben wieder sah. Voll Zorn rief er ihm zu: »Warum. hast du mich in solcher Unwissenheit aufwachsen lassen? Warum ließest du mich nicht das große Geheimnis des Lebens und das Wunder allen Seins kennen, welches selbst den niedrigsten Insekten bekannt ist! Sieh und hör, die ganze Natur befindet sich in einem Taumel des Entzückens! jedes Wesen freut sich seines Gefährten. Das ist die Liebe, von der du mir hättest erzählen müssen. Warum versagt man mir allein ihren Genuss? Warum wurde mir all die Jahre, ja selbst heute noch, diese Freude vorenthalten?« Der weise Bonabben sah ein, dass jede weitere Geheimnistuerei vollkommen nutzlos wäre, dass der Prinz bereits all das wusste, was ihm nicht gelehrt und gesagt werden sollte. Also sprach er zu ihm von der Vorhersagung der Astrologen und den Vorsichtsmaßregeln, die man bei seiner Erziehung getroffen hatte, um das drohende Unheil abzuwenden, das über ihm schwebte. »Und jetzt, mein Sohn«, fügte er hinzu, »liegt mein Wohl und Wehe in deinen Händen. Wenn dein königlicher Vater erfährt, dass du trotz meiner Aufsicht und Obhut die Leidenschaft der Liebe kennengelernt hast, so kostet mich das meinen Kopf, denn unser Sultan pflegt Wort zu halten.« Der Prinz war Eben Bonabben durchaus zugetan, und da er bis jetzt das Feuer der Liebe nur unbewusst spürte, so versprach er, sein neues Wissen für sich zu behalten, um den Kopf des Philosophen nicht zu gefährden. Doch das Schicksal wollte es, dass seine Großmut noch auf harte Proben gestellt werden sollte. Als er einige Tage später frühmorgens auf der Plattform des Bergfrieds auf und ab ging, seinen Gedanken nachhängend, da kam der Tauber wieder geflogen und setzte sich furchtlos auf seine Schulter. Voll Freude liebkoste ihn der Prinz und sagte mit bewegter Stimme: »Glücklicher Vogel, der du wie auf Schwingen der Morgenröte bis ans Ende der Welt fliegen kannst! Wo warst du seit jenem Tag, an dem ich dir die Freiheit schenkte?« »In einem fernen Land, mein Prinz, aus dem ich dir zur Belohnung für deine Großmütigkeit eine Nachricht bringe. Einmal sah ich auf meinem weiten Flug über wilde Berge und fruchtbare Ebenen tief unter mir einen herrlichen Garten voll der schönsten Blumen und Blüten, mit Bäumen, deren Äste und Zweige sich unter der Last der wundervollsten Früchte bogen. Er lag in einer grünen Aue, an den Ufern eines Flusses, dessen klare Wasser sich durch die Ebene dahinschlängelten. In der Mitte dieses Paradieses stand ein prächtiges Schloss. Ich flog auf eine Baumgruppe zu, um dort auszuruhen, denn anstrengende Tage lagen hinter mir. Es war ein schönes Plätzchen; rundherum Blumen in allen Farben des Regenbogens, angenehm riechende Früchte, und unten auf der Rasenbank saß eine junge Prinzessin, die in ihrer Schönheit und Anmut einem Engel glich. junge Dienerinnen, feengleich wie sie, waren ihre Hofdamen, sie schmückten das Mädchen mit Blumenkränzen. Doch keine der Blumen, selbst die nicht aus den hängenden Gärten der Semiramis, konnten mit dem Königskind an Schönheit wetteifern. Allein die Prinzessin blühte dort, einem Veilchen gleich im Verborgenen, denn der Garten war von hohen Mauern umgeben, und kein Sterblicher durfte eintreten. Als ich dieses schöne Mädchen sah, so jung, so unschuldig, so rein und ohne Makel, da sagte ich mir sofort: >Das ist das Wesen, das der Himmel geschaffen hat, damit mein freundlicher Prinz die Liebe kennenlernt.<« Diese Worte fielen wie zündende Funken in das Herz Achmeds, dessen Liebessehnsucht endlich das erwünschte Wesen gefunden hatte. Aufgeregt schrieb er einen leidenschaftlichen Brief an die schöne Prinzessin; in wohlgesetzen Sätzen gestand er ihr seine Liebe und beklagte traurig sein hartes Los. Nur die Gefangenschaft, so stand in dem Brief, hindere ihn daran sie aufzusuchen und sich ihr zu Füßen zu werfen. Er fügte Verse hinzu, in denen er mit zärtlicher Beredsamkeit seinen Gefühlen Ausdruck gab. Als Aufschrift trug der Brief die Worte: »An die schöne Unbekannte, von dem gefangenen Prinzen Achmed.« Schließlich schüttete er noch Moschus und Rosenöl über das Schreiben und übergab es dann dem Tauber. »Nun, lieber Bote!« sagte er. »Fliege über Berge und Täler, über Flüsse und Ebenen, Wiesen und Wälder! Raste aber nicht eher im Gebüsch und Laub der Bäume, setze deinen Fuß nicht eher auf die Erde, bis du diese Botschaft der Geliebten meines Herzens übergeben hast.« Der Täuberich schwang sich hoch in die Luft, nahm Richtung und schoss dann davon. Der Prinz folgte ihm mit den Augen, bis nur mehr ein ganz kleiner Punkt am fernen Horizont zu sehen war, der allmählich in der Weite entschwand. Tag um Tag wartete Achmed auf die Rückkehr des Liebesboten; aber vergebens suchte er stundenlang den Himmel nach dem Tauber ab. Schon fing er an, ihn der Vergesslichkeit zu schelten, als der treue Vogel eines Abends gegen Sonnenuntergang in sein Zimmer flatterte, dort auf den Boden fiel und starb. Der Pfeil eines mutwilligen Bogenschützen hatte ihm die Brust durchbohrt, und dennoch flog er mit den letzten Lebenskräften weiter bis auf den Turm zum Prinzen, der ihn so dringlich erwartet hatte. Als dieser sich kummervoll über den Märtyrer der Treue beugte, bemerkte er, dass der tote Tauber eine feine Perlenschnur um seinen Hals trug, an der, versteckt unterm Flügel, ein kleines Medaillon hing, auf dem ein wundervolles Emailbildchen zu sehen war. Dieses zeigte eine schöne Prinzessin in der ersten Blüte ihrer Jahre. Ohne Zweifel handelte es sich um die schöne Unbekannte im Lustgarten, von der der gute Tauber einst gesprochen hatte. Wer war sie aber, und wo lebte sie? Wie hatte sie seinen Brief aufgenommen, und war das kleine Bildchen wirklich eine Zusage und eine Antwort, ein Zeichen der Genehmigung seiner Leidenschaft? Die tote Taube aber schwieg und blieb für ewig stumm, und der feurige Liebhaber sollte auf seine Fragen keine Antwort mehr bekommen. Er blickte sehnsuchtsvoll auf das Bild, bis seine Augen in Tränen schwammen; dann küsste er es, drückte es an sein Herz und betrachtete es wieder stundenlang mit zärtlicher Leidenschaft. »Schönes Bild«, sagte er, »ach, du bist nur ein Bild! Doch deine frischen Augen strahlen mir zärtlich entgegen, deine rosigen Lippen scheinen mich zu ermutigen! Eitle Einbildung, alles ist Phantasie! Lächelten sie einem glücklichen Nebenbuhler nicht ebenso lieblich zu? Mein Gott im Himmel, wo kann ich wohl dieses schöne Mädchen finden, das der Künstler hier malte? Wer weiß, welche Berge und Länder uns trennen. Wer kennt die Gefahren, die uns drohen? Vielleicht drängen sich jetzt, gerade jetzt, Freier um sie, während ich hier im Turm gefangen sitze und meine Zeit mit Seufzen und der Anbetung eines gemalten Schattens verliere! « Rasch entschlossen sagte Achmed weiter: »Ich will aus diesem Palast entfliehen, denn er wurde mir zum verhassten Gefängnis! Und als Pilger der Liebe werde ich durch die ganze Welt ziehen und suchen, bis ich die unbekannte Prinzessin finde und an mein Herz drücken kann.« Weiter überlegend sagte sich der junge Mann, dass tagsüber, wenn die Diener und Wächter alle aus und ein liefen, eine Flucht wohl schwerlich gelingen dürfte, er also den Einbruch der Nacht abwarten müsse, denn da stünden dann nur ganz wenige Posten auf den Mauern, und selbst die schliefen oft, denn niemand befürchtete einen Ausbruch des lammfrommen Prinzen. Aber wie sollte er bei seiner Flucht in dunkler Nacht den rechten Weg finden? Er kannte doch die Gegend nicht! In dieser unangenehmen Lage fiel ihm die Eule ein, die Rat wissen musste, denn sie war es gewohnt, bei Nacht herumzustreifen und auf geheimen Pfaden und Wegen auf die Pirsch zu ziehen. Umgehend begab er sich nun in ihre Klause und fragte sie bezüglich ihrer Landeskenntnisse aus. Die Eule setzte eine gewichtigte Miene auf und sagte ernst, jedes Wort betonend: »Du musst wissen, mein Prinz, dass wir Eulen eine weitverzweigte und alte Familie darstellen; es ist richtig, dass wir etwas verarmt und heruntergekommen sind, aber noch immer nennen wir in allen Teilen Spaniens viele hundert verfallene Schlösser und Türme unser eigen. Es gibt kaum eine Bergwacht auf schroffem Fels, keine Festung in den Ebenen, keinen Palast in einer kastilischen Stadt und keine Pfalz auf den Hügeln Andalusiens, in der nicht ein Bruder, ein Oheim oder Vetter wohnte. Oft besuchte ich schon meine lieben Verwandten und kam dabei durchs ganze Land, das ich in meinem Wissensdrang genauest durchforschte. Ich kenne also jeden Winkel, jeden Weg und Steg von nah und fern und auch den geheimsten Unterschlupf, den Menschen je betreten hatten. « Achmed war hocherfreut, in der Eule einen so kundigen Berater gefunden zu haben und berichtete ihr nun im Vertrauen von seiner zärtlichen Liebe und seinen Fluchtplänen. Auch bat er sie inständig, ihn auf der Reise zu begleiten, da er ihren Rat ja so notwendig brauche, denn allein käme er in seiner Unerfahrenheit nicht weiter. »Wieso ich!« schnauzte ihn die Eule unfreundlich an, »glaubst denn du wirklich, dass ich mich mit Liebeshändeln befasse? Ich, deren Zeit, Tun und Lassen ausschließlich der sinnenden Betrachtung, dem Studium und dem Mondkult geweiht ist?« »Sei nicht böse, höchst ehrwürdige Eule«, war Achmeds Antwort, »opfere mir deine kostbaren Tage, und lass eine Weile die Meditation und den Mond. Hilf mir bei meiner Flucht, und sei mein Führer durchs unbekannte Land. Ich will dich reichlich dafür belohnen, denn alles sollst du haben, was dein Herz wünscht.« »Ich habe alles, was mein Herz begehrt«, schnarrte der unfreundliche Vogel; »ein paar Mäuse als frugales Mahl, dieses Mauerloch als Wohnung sind reichlich genug für mich, denn ein Philosoph braucht nicht mehr.« »Bedenke, weiseste aller Eulen und Uhus, hier im Verborgenen gehen deine großen Talente und Kenntnisse für die Welt verloren; niemandem nützen sie, und niemand kennt sie. Ich werde eines Tages regierender Fürst sein, und dann kann ich dich auf einen Posten von Rang und Ehren setzen, von wo du mit deinen weisen Entschlüssen das ganze Land beglückend organisieren und seine Bewohner als guter Kanzler führen könntest. « Wenn auch die Eule ein Philosoph war und sich über die gewöhnlichen Bedürfnisse des Lebens erhaben fühlte, so hatte sie doch noch nicht jeden Ehrgeiz verloren, und Minister konnte man schließlich und endlich nicht alle Tage werden. Der kluge Vogel ließ sich nach einigen Versprechungen ohne Mühe dazu bringen, dass er zusagte, den jungen Prinzen auf seiner Liebesfahrt zu begleiten und sein Führer und Ratgeber zu werden. Verliebte pflegen rasch zu handeln und ihre Pläne umgehend zu verwirklichen. Der Königssohn suchte alle seine Juwelen, Goldmünzen und Schmuckstücke zusammen und versteckte das Reisegeld in seinen Kleidern. In derselben Nacht noch ließ er sich an geknüpften Gürteln vom Balkon herunter, lief durch den Garten und sprang ungesehen über die Außenmauer des Generalife. Einmal draußen, übernahm gleich die Eule die Führung, und beide erreichten noch vor Tagesanbruch glücklich das Gebirge, wo sie in Sicherheit waren. Der Prinz und sein Mentor setzten sich nun zusammen und berieten, was weiterhin zu tun sei und welchen Weg', man nehmen müsste. Ernst Und gewichtig, wie alle Hofräte, hub die Eule alsogleich zu sprechen an: »Wenn ich dir raten darf, so schlage ich vor, dass wir uns nach Sevilla begeben. Du musst wissen, dass ich vor Jahren mehrmals dort meinen Oheim besuchte, einen Vogel von hoher Würde und großem Ansehen. Er wohnte in einem verfallenen Flügel des Sevillaner Alcazars und empfing nachts seine Besuche, dass ich also gar viele Bekanntschaften machen konnte. Allein oder mit guten Freunden durchstreifte ich dann die Stadt und konnte dabei viel sehen und lernen. Auf meinen nächtlichen Spazierflügen hatte ich auch bemerkt, dass in einem Turm in der Nähe des königlichen Alcazars fast immer eine Ölfunzel brannte, was natürlich meine Neugierde ganz gewaltig erregte. Ich ging der Sache nach, flog zum Turm und ließ mich vorsichtig auf der Zinne nieder. Von dort aus sah ich einen arabischen Zauberer, der beim Schein der rauchenden Lampe emsig arbeitete und wissenschaftliche Versuche machte. Vor, neben und hinter ihm lagen stoßweise Bücher und gelbe Pergamentrollen, und auf seinen Schultern saß ein alter Rabe, der vertrauteste Freund, den er seinerzeit aus Ägypten mitgebracht hatte. Mit dem Raben bin ich sehr gut bekannt und verdanke ihm einen großen Teil meiner Kenntnisse. Der Magier selbst ist seitdem gestorben, aber der Rabe lebt noch im gleichen Turmzimmer, denn du weißt ja, dass diese Vögel ein wunderbar langes Leben haben. Ich möchte dir nun raten, o Prinz, diesen Raben aufzusuchen; er ist ein großer Wahrsager und Beschwörer, ein Astrologe und Fachmann in der schwarzen Kunst, wegen der gemeinhin alle Raben, vorzugsweise aber die aus Ägypten, bekannt und berühmt sind.« Dem Prinzen leuchtete der weise Rat ein, und seinem zukünftigen Minister folgend, zogen sie in Richtung Sevilla weiter. Achmed reiste seinem Genossen zuliebe nur des Nachts und ruhte bei Tag in irgendeiner dunklen Höhle oder in einem verfallenen Wachtturm, denn die Eule war mit den Unterkünften und Schlupfwinkeln solcher Art wohlbekannt, und außerdem hatte sie von je eine wahre Leidenschaft für jede Art von alten Bauten und archäologischen Kunstschätzen. Alles hat einmal sein Ende, und so erreichten auch die beiden Reisenden eines schönen Tages kurz vor Sonnenaufgang die Stadt Sevilla. Die Eule blieb draußen vor den Mauern. Sie verabscheute die Helligkeit und den großen Lärm in den dichtgedrängten Straßen. In einem hohlen Baum bei einer Muhme schlug sie ihr Quartier auf, wo sie von niemandem belästigt wurde. Der Prinz schritt rasch durchs Tor und fand bald den beschriebenen Turm, der sich gleich einer Palme hoch über die Häuser der Stadt erhob. Es war in der Tat derselbe, der heute noch steht und unter dem Namen Giralda als das berühmteste maurische Bauwerk Sevillas bekannt ist. Achmed stieg die steile Wendeltreppe bis zur Spitze des Turms hinauf und traf dort tatsächlich den zauberkundigen Raben. Es war ein alter Vogel, grauköpfig, mit struppigem Gefieder; auf einem Auge schien er blind zu sein, denn eine weiße Haut deckte es zu, was seinen Anblick gespensterhaft, ja furchterregend machte. Als der Prinz kam, stand er auf einem Bein und starrte einäugig mit zur Seite geneigtem Kopf vor sich hin auf die kabbalistischen Zeichen, die auf den Bodenfliesen zu sehen waren. Leise und ehrerbietig näherte sich ihm der königliche Besucher, mit jener Scheu, die das würdige Aussehen und sein übernatürliches Wissen jedem unwillkürlich einflößten. »Verzeih mir, o ältester Meister in der Kabbala«, rief er aus, »wenn ich einen Augenblick diese Studien unterbreche, die die gesamte Welt in Bewunderung versetzen. Du hast einen Mann vor dir, der sich der Liebe geweiht hat und dich nun um Rat fragen möchte, wie er ans Ziel, zum Gegenstand seiner Leidenschaft gelangen könne.« »Mit anderen Worten«, sagte der Rabe, ihn bedeutungsvoll anschielend, »du willst meine Kenntnisse in der Chiromantie erproben. Komm, zeig mir deine Hand, und lass mich die geheimnisvollen Schicksalslinien entziffern. « »Entschuldige«, versetzte der Prinz, »ich komme nicht um einen Blick in die Zukunft zu tun, auch will ich nicht das wissen, was Allah dem Auge der Sterblichen verborgen hält; ich bin ein Pilger der Liebe und suche den Weg, der mich ans Ziel und zum Gegenstand meiner Irrfahrten führt.« »Aber mein guter junge, wie ist es möglich, dass du im fröhlichen und leichtlebigen Andalusien nicht ein deiner Liebe wertes Wesen finden kannst?« krächzte der alte Rabe und blickte ihn von der Seite her an, »hier im üppigen Sevilla kannst du doch unmöglich in Verlegenheit kommen, hier wo unter Orangenbäumen auf den Straßen und in Gärten glutäugige Mädchen Zainbra tanzen?« Der Prinz wurde rot vor Verlegenheit und staunte einigermaßen darüber, einen so alten Vogel, der übrigens bereits mit einem Fuß im Grabe stand, derartig locker sprechen zu hören. »Glaube mir«, sagte er daher ernst, »ich bin auf keines jener leichtfertigen Liebesabenteuer aus, wie du vielleicht vermutest. Die leichtgeschürzten, schwarzäugigen Mädchen Andalusiens, die unter Orangenbäumen an den Ufern des Guadalquivirs tanzen, sind für mich nicht vorhanden, und ich kümmere mich keineswegs um sie. Ich suche eine unbekannte, aber makellose Schönheit, das Mädchen, das zu diesem Bild Modell stand. Ich ersuche dich, höchst mächtiger Rabe, sage mir, wenn du kannst und es dein Wissen erlaubt, wo ich das begehrte, schöne Geschöpf suchen muss und finden werde. « Der alte Graukopf war wirklich etwas betroffen, als er den Prinzen mit solchem Ernst sprechen hörte. Er erwiderte daher abweisend: »Was weiß ich von Jugend und Schönheit! Ich besuche ja nur Alte und von Krankheiten gezeichnete Wesen; nichts habe ich mit Frische und Schönheit zu tun! Ich bin des Schicksals Bote und krächze von den Schornsteinen herab meine traurigen Weissagungen, die fast immer eine Todesnachricht enthalten, und schlage dann und wann mit meinen Flügeln an die Fenster eines Krankenzimmers, wenn der Sensenmann sich nähert. Du musst schon anderswo nach deiner unbekannten Schönen forschen, denn ich bin wirklich nicht der Richtige dazu, der dir darüber Nachricht geben könnte. « »Aber bei wem sonst soll ich suchen, als bei den Söhnen der Weisheit, die im Buche des Schicksals lesen können? Wisse, ich bin ein Prinz königlichen Geblüts, von den Sternen zu geheimnisvollen Unternehmungen auserwählt, von denen die Zukunft und das Schicksal ganzer Länder und Nationen abhängen kann.« Als der Rabe merkte, dass die Angelegenheit von Wichtigkeit war und dass deren Verwirklichung von den Sternen abhänge, da änderte er gleich seinen Ton und sein Benehmen. Aufmerksam lauschte er der Erzählung des Prinzen, und als dieser geendet hatte, sagte er in gewichtigem Ton: »Über diese Prinzessin kann ich dir leider keine Auskunft geben, denn in Garten und Lauben, wo Frauen sind, halte ich mich in der Regel nicht auf. Aber ziehe bis Córdoba weiter und gehe dort zur ehrwürdigen Palme des großen Abderrahman, die im Hof der Mezquita steht, und dort wirst du einen Weisen finden, der alle Länder und alle königlichen Residenzen besucht hat und ein Liebling vieler Königinnen und Fürstinnen gewesen ist. Man wird dir dort sicherlich die gewünschte Auskunft geben können. « »Vielen Dank für diese wertvolle Nachricht«, sagte Achmed, »und lebe wohl, du ehrwürdiger Astrologe«. »Fahre hin, Pilger der Liebe«, sagte der Rabe wenig freundlich und vertiefte sich neuerlich in seine kabbalistischen Diagramme. Der Prinz eilte aus der Stadt hinaus, holte seinen Reisegenossen, die Eule, ab, die noch immer im hohlen Baum bei ihrer Gevatterin schlummerte, und zog eiligst in Richtung Córdoba weiter. Sie wanderten das fruchtbare Tal des Guadalquivirs aufwärts, durch duftende Haine, Orangenpflanzungen und Zitronenwälder, und kamen endlich an den hängenden Gärten Córdobas vorbei, die die Umgebung der Stadt zierten. Am stark bewachten Tor trennten sich die beiden Fahrtgenossen; die Eule blieb draußen und flog in ein dunkles Mauerloch unter dem Wachtturm, während der Prinz eilig weiterging, um die Palme zu suchen, die der große Abderrahman vor uralten Zeiten gepflanzt hatte. Leicht war es ihm, sie zu finden, denn sie stand im Vorhof der Hauptmoschee und überragte weit die übrigen Bäume. Derwische und Fakire saßen gruppenweise in den Säulengängen der Patios und erörterten diskutierend und gestikulierend irgendein theologisches Problem. Auch waren viele fromme Gläubige da; sie verrichteten ihre rituellen Waschungen, ehe sie das Gotteshaus betraten. Am Fuß der Palme drängte sich eine Menge von Menschen und horchte aufmerksam auf die Worte eines Redners, der mit gewandter Geläufigkeit zu sprechen schien. »Dies«, sagte sich der Prinz, »muss der Weise sein, der mir Auskunft über die unbekannte Prinzessin geben soll.« Achmed mischte sich unter die Leute und bemerkte mit Erstaunen, dass alle einem Papagei zuhörten, der mit seinem hellgrünen Rock, den verschmitzten Äuglein und einem wehenden Federbusch auf dem Kopf den Eindruck eines eitlen und von sich selbst eingenommenen Wesens machte. - Wie kommt es«, sagte der Prinz zu einem der Zuhörer, »dass so viele ernste Personen an dem dummen Geschwätz eines plappernden Vogels Gefallen finden können?« »Freund, ihr wisst nicht von wem und was ihr sprecht!« antwortete leise der andere; »dieser Papagei ist ein direkter Nachkomme des berühmten persischen Papageis, der wegen seines Erzählertalentes auf der ganzen Welt berühmt war. Dieser kluge Vogel hier hat alle Gelehrsamkeit des Morgenlandes auf seiner scharfen Zungenspitze; er ist Philosoph und Dichter, und er spricht in gereimten Versen ebenso schnell, wie der klügste Derwisch seine auswendig gelernten Koranzitate. Weit kam er herum! Er besuchte fremde Königshöfe, Universitäten und hohe Schulen, und überall bestaunte ihn jung und alt wegen seiner Gelehrsamkeit. Auch war er der allgemein anerkannte Liebling schöner Damen und verbrachte viel Zeit in Kemenaten und Harems, was bei der Vorliebe des schwachen Geschlechtes für dichtende und gebildete Papageien leicht verständlich ist.« Hier unterbrach Achmed den Bürger von Córdoba und rief: »Genug, ich will eine private Unterredung mit diesem berühmten Weisen haben.« Die Audienz wurde ihm gewährt, und der Liebespilger setzte dem weisen und vielgereisten Vogel Ziel und Zweck seiner Wanderschaft auseinander. Doch kaum hatte dieser vom Herzeleid Achmeds gehört, als er auch schon in ein trockenes und lautes Lachen ausbrach, dass ihm die Tränen aus den Augen flossen. »Entschuldige meine Heiterkeit«, sagte der Papagei, »schon die bloße Erwähnung des Wortes Liebe bringt mich zum Lachen.« Der Prinz war von dieser unhöflichen Heiterkeit keineswegs erbaut und sagte etwas verletzt. »Ist die Liebe nicht das große Geheimnis der Natur, das heilige Prinzip des Lebens, das gemeinsame Band, das in zarter Seelenverwandtschaft Mann und Frau sich finden lässt?« »ja, was du nicht alles weißt!« rief der Papagei, ihn laut unterbrechend, »sag mir doch, woher hast du eigentlich dieses sentimentale Geschwätz? Glaub mir, Liebe ist aus der Mode! In der guten Gesellschaft, bei Leuten von feiner Bildung und Witz wird darüber nicht mehr gesprochen. « Mit Wehmut dachte Achmed an seine arme Freundin, die gute Taube, und wie die ganz anders von der Liebe gesprochen hatte. Der Prinz fand aber das Verhalten des Papageis verständlich und nahm es ihm nicht übel, denn das lange Hofleben, so dachte er sich, habe den Vogel affektiert und eingebildet gemacht, was ja auch Männern von Ruf zustoßen soll. Keinesfalls jedoch wollte er seine innersten Gefühle dem Spott des schwatzenden Papageis nochmals preisgeben. Er kam daher rasch auf den unmittelbaren Zweck seines Besuches zu sprechen. »Sage mir, hochgebildeter Freund von Königen, Fürsten und Prinzessinnen, der du Überall, selbst in die geheimsten Gemächer der adeligen Schönen Zutritt hattest, begegnetest du einmal auf deinen Reisen diesem schönen Mädchen, das hier abgebildet ist?« Der Papagei nahm das kleine Rundbildchen in seine Krallen, wackelte mit dem Kopf von einer Seite zur anderen und prüfte mit neugierigen Äuglein die Gesichtszüge des Mädchens. »Blitz und Donnerschlag«, rief er, »wirklich ein recht hübsches Gesicht; wirklich schön und zart. Aber ich habe auf meinen Reisen so viele nette Frauenzimmer gesehen, dass ich mich wirklich nicht erinnern kann. Doch halt, wahrhaftig! wenn ich recht sehe ... nun bin ich ganz sicher: Es ist die Prinzessin Aldegunda! Wie konnte ich nur diesen Engel vergessen bei dem ich in so hoher Gunst stand! « »Die Prinzessin Aldegunda«, wiederholte Achmed. »Und wo kann ich sie finden?« »Immer langsam«, antwortete der Papagei, »sie ist nämlich viel leichter zu finden als zu gewinnen. Aldegunda ist die einzige Tochter des christlichen Königs von Toledo. Wegen einer Prophezeiung von Astrologen und Wahrsagern, die sich ja bekanntlich in alle Sachen mischen, auch wenn diese sie selbst nichts angehen, hält man das schöne Mädchen bis zu ihrem siebzehnten Geburtstag von aller Welt abgeschlossen. Du wirst sie nicht bewundern können, denn kein Sterblicher darf sie sehen. Ich wurde seinerzeit eingeführt und zugelassen, um sie zu zerstreuen und zu unterhalten, was mir bei dem guten Kind auch leicht gelang. Auf mein Ehrenwort kann ich dir versichern, dass ich auf der Welt kein hübscheres und liebenswerteres Wesen gesehen habe.« »Ein Wort im Vertrauen, lieber Papagei«, sagte Achmed, »du musst wissen, dass ich der Erbe eines großen Königreiches bin und eines Tages auf dem Thron von Granada el bist und die sitzen werde Ich sehe, dass du ein kluger Vogel bist und die Welt kennst. Hilf mir die Prinzessin freien, und du sollst einer meiner höchsten Hofbeamten werden. « Ernst antwortete der Papagei: »Von Herzen gern, lieber Freund! Was aber die Stellung bei Hof anbelangt, so möchte ich dich bitten, mir eine gute Pfründe ohne Amtsgeschäfte zu geben, denn wir Schöngeister haben einen gewissen Widerwillen gegen Arbeit. « Bald war alles geordnet, das Anstellungsdekret unterzeichnet, und Prinz und Papagei verließen die Kalifenstadt durch dasselbe Tor, durch das vor Stunden die königliche Hoheit ratsuchend allein hereingekommen war. Draußen vor der Stadtmauer pfiff Achmed die Eule aus dem Mauerloch heraus, machte seine beiden Kronräte miteinander bekannt, und gemeinsam zogen sie dann nach Erledigung einiger Förmlichkeiten gegen Norden und den Bergen zu. Die Fahrt ging allerdings nicht so schnell vonstatten, wie es der Prinz wohl wünschte; er musste einige Unannehmlichkeiten mit in Kauf nehmen: Da war einmal der verwöhnte und an ein bequemes Leben gewohnte Papagei, der in der Frühe nicht gestört sein wollte. Die Eule ihrerseits wieder hielt eine ausgiebige Siesta und döste bis in den späten Nachmittag hinein; dazu kam noch ihr Fimmel für alte Bauten und archäologische Kunstschätze, die sie alle sehen wollte. Bei jeder Ruine machte sie halt, kroch in allen Mauerlöchern herum, besuchte Basen und Vettern, Uhus und Käuze und erzählte dann gar lange Geschichten von den Burgen und Türmen, von deren einstigen Bewohnern und den Umständen, die ihre Mauern zum Bersten brachten. Zu all dem kamen noch unangenehme Familienzwistigkeiten: Eule und Papagei vertrugen sich nämlich ganz und gar nicht. Obschon beide Vögel sehr gebildet waren, behagte keinem die Gesellschaft des anderen; den ganzen Tag hindurch stritten sie, kaum dass sie sich irgendwo trafen. Der Papagei war ein Schöngeist, die Eule ein Philosoph. Ersterer rezitierte Verse, kritisierte die neuesten wissenschaftlichen Arbeiten und Bücher, wobei er mit beißendem Spott, aber ohne Fachwissen, die verschiedensten Disziplinen der Gelehrsamkeit eingehendst behandelte. Für die Eule waren natürlich derartige Kenntnisse ganz und gar bedeutungslos und reiner Unsinn, und sie antwortete mit einem Vortrag über Metaphysik. Dann wieder sang der Papagei mancherlei Lieder, die nicht für jedermanns Ohr waren; er erzählte gute Witze und unterhielt sich auf Kosten seines Reisegenossen. Solches Gehabe verletzte natürlich die Würde der Eule, die sich furchtbar ärgerte, vor Wut fast barst und den weiteren Rest des Tages wie ein Grab schwieg. Der junge Prinz gab sich ganz seinen Träumen hin und betrachtete stundenlang das Bildnis der schönen Tochter des christlichen Königs von Toledo. Er ließ also die beiden Reisegefährten um des Kaisers Bart streiten, mischte sich nicht in ihre langen Diskussionen und sorgte nur dafür, dass nicht zuviel Zeit verlorenging. So kamen sie durch die hohen Bergtäler der Sierra Morena, über die ausgedörrten Ebenen Kastilliens und der Mancha, dann den Tajo entlang, der sich durch halb Spanien und Portugal hindurchwindet. Endlich erblickten sie in der Ferne eine feste Stadt mit starken Mauern und Türmen. Sie erhob sich auf einem felsigen Vorgebirge, das weit ins Land hinausschaute und an dessen Fuß die Wasser des Tajo wild aufspritzten. »Seht«, rief die Eule aus, »das berühmte Toledo, bekannt seiner historischen Schätze wegen. Beachtet dort die ehrwürdigen Türme und die hohen Kuppeln; der Staub von Jahrhunderten deckt sie, und reiche Sagen heiligen den Ort, an dem so viele meiner Vorfahren sich dem Studium und der stillen Meditation hingaben und noch hingeben.« »Still und halt den Schnabel!« rief unwillig der Papagei und schnitt weitere kunsthistorische Erörterungen kurz ab. »Was kümmern uns Altertümer, Monumente aus vergangenen Zeiten, Sagen und Geschichten von deinen Vorfahren? Sieh hinüber, dort zur Wohnstätte der Jugend und Schönheit! Das ist es, was wir wollen, denn, o Prinz, hier lebt deine lang gesuchte und so heiß ersehnte Prinzessin! « Achmed blickte in die vom Papagei angedeutete Richtung und sah in einer herrlichen Au am Ufer des Tajos einen prächtigen Palast, der aus vielen Hunderten von Baumkronen hervorzuwachsen schien. Es war wirklich der Ort, den die Taube ihm beschrieben hatte. Klopfenden Herzens starrte der verliebte Prinz zum Schloss und murmelte leise vor sich hin: »Vielleicht lustwandelt jetzt das schöne Kind unter jenen schattigen Baumgruppen oder schwebt mit leicht beschwingtem Schritt über die kunstvolle Terrasse dort; vielleicht ruht und schlummert sie in einem kühlen Mirador des Palastes! « Als der junge Mann allmählich wieder zu sich kam, bemerkte er voll Schreck, dass der Ansitz der Toledaner Königstochter von unübersteiglich hohen Mauern umgeben war und dass bis an die Zähne bewaffnete Soldaten ununterbrochen die Runde machten, um zu verhindern, dass jemand sich der Prinzessin nähern könne. Als der Prinz die Lage erfasst hatte, wandte er sich umgehend an den immer noch schwätzenden Papagei und sagte zu ihm: "Vollkommenster aller Vögel! Du hast die Gabe der menschlichen Sprache, und durch große Klugheit zeichnest du dich aus! Fliege eiligst in den Schlossgarten, suche die Abgöttin meiner Seele und sag dem schönen Mädchen, dass Prinz Achmed als Pilger der Liebe nun an die blumigen Ufer des Tajos gekommen ist, um sie aufzusuchen und sich ihr zu Füßen zu werfen.« Stolz auf sein Amt flog der Papagei alsogleich zum Garten, schwang sich über die hohe Mauer, schwebte wie suchend eine kurze Weile über den Wiesen und Beeten und ließ sich dann rasch auf dem Balkon eines Lusthäuschens nieder, das am Flussufer stand. Neugierig schaute er durchs Fenster und sah drinnen im Zimmer die Prinzessin auf einem reichen Diwan sitzen, die Augen auf ein Stück Papier geheftet, das ihre Tränen, die langsam über ihre ,blassen Wangen herunterflossen, netzten. Der Papagei putzte einen Augenblick seine Flügel, zog seinen hellgrünen Rock zurecht, richtete seine Kopfschleife in die Höhe und ließ sich mit höflichem Anstand an ihrer Seite nieder. Im zärtlichsten Ton sagte er dann: »Trockne deine Tränen, schönste aller Prinzessinnen, ich bringe dir Trost und zaubere wieder Lächeln auf deine zarten Lippen.« Verständlicherweise erschrak die Prinzessin heftigst, als sie eine Stimme hinter sich hörte. Rasch drehte sie sich um und den grünröckigen Vogel betrachtend, der sich untertänigst verneigte, sagte sie traurig: »Ach!, welchen Trost willst du mir schon bringen, du bist ja nur ein Papagei?« Es verdross den Papagei solche Rede, aber er schluckte seinen Ärger hinunter und sagte in schnippischem Ton: »Wisse liebes Kind, gar manche schöne Dame tröstete ich schon in meinem Leben, und mit Erfolg! Doch dies nur nebenbei, denn heute komme ich als Gesandter des königlichen Prinzen Achmed. Der künftige Herrscher von Granada weilt gegenwärtig an den blumenreichen Ufern des Tajo und will dir seine Aufwartung machen.« Scharf blitzten die Augen der schönen Prinzessin bei diesen Worten auf und leuchteten heller als die Diamanten ihrer Krone. »0 süßester aller Papageien«, rief sie aus, »herrlich klingen in der Tat deine Nachrichten! Schwach und verzagt war ich, und die Zweifel an Achmeds Treue machten mich krank. Eile zurück und sage ihm, dass die Worte seines Briefes in meinem Herzen gemeißelt stehen und dass seine liebevollen Verse seit Monaten die geistige Nahrung meiner Seele sind, dass nur die Gedanken an ihn mich aufrecht hielten. Trage ihm aber auch auf, dass er sich umgehend rüste, denn mit der Waffe in der Hand wird er im Kampfspiel seine Liebe zu mir unter Beweis stellen müssen. Morgen an meinem siebzehnten Geburtstag veranstaltet mein Vater ein großes Turnier, an dem die besten Klingen und mutigsten Helden in die Schranken treten werden, denn meine Hand soll als Preis dem Sieger gehören.« Der Papagei erhob sich, rauschte durchs Gebüsch und flog zum Prinzen zurück, der schon ungeduldig auf eine Antwort wartete. Groß war die Freude Achmeds als er hörte, dass im Schlosse wirklich die Prinzessin, deren Bild er im Medaillon gesehen hatte, wohne und dass sie seiner in sehnsuchtsvoller Liebe gedachte. Laut jubelte er auf, denn sein Traum war Wirklichkeit geworden. In den Freudenbecher fielen allerdings einige Tropfen bitteren Wermuts; denn das nun bevorstehende Kampfspiel machte ihm einige Sorgen, was leicht verständlich ist, wenn man bedenkt, dass er nicht von Kriegern und Rittern erzogen worden war, sondern von einem gelehrten Philosophen. Schon sah man stahlgepanzerte Ritter den Tajo entlang und in die Stadt hinauf reiten. Hell glänzten ihre Waffen im Sonnenschein, und laut schallten die Trompeten und Posaunen der Schildknappen. Viele edle Herrschaften drängten sich durch die engen Gassen der alten Gotenstadt, und alles wollte dem Turnier beiwohnen, wo man erstmals die schöne Königstochter zu Gesicht bekommen sollte. Die Vorsehung wollte es, dass das Geschick der beiden jungen Königskinder vom selben Stern gelenkt und beeinflusst wurde. Daher war auch die Prinzessin bis zu ihrem siebzehnten Geburtstag von aller Welt abgeschlossen gewesen, um sie so vor den gefährlichen Einflüssen einer vorzeitigen Liebe zu schützen. Dies verhinderte jedoch nicht, dass ihre Schönheit allgemein bekannt wurde und sich bereits mehrere mächtige Prinzen um sie beworben hatten. Der König aber, ein Mann von außerordentlicher Klugheit, wollte sich der Tochter wegen mit niemandem verfeinden; er gab keinem der Freier eine eindeutige Antwort, sondern verwies alle auf das Kampfspiel und sagte, dass der Sieger die Prinzessin als Ehefrau heimführen könne. Klar, dass sich unter diesen Umständen gar mancher waffengewandte Haudegen unter den Bewerbern befand, dessen Mut bekannt und gefürchtet war. Eine wirklich unangenehme Lage für den unglücklichen Achmed, der weder mit Waffen versehen, noch in ritterlichen Übungen erfahren war. »Oh, ich unglücklichster aller Prinzen«, rief er verzweifelt aus. »Wozu nützen mir nun Algebra und Astronomie und all die anderen Wissenschaften, die mich ein Philosoph in klösterlicher Abgeschiedenheit lehrte? Ach, Eben Bonabben, warum hast du es versäumt, mich in der Führung von Waffen zu unterweisen?« Aufmerksam hatte die Eule zugehört, und fromm zum Himmel aufblickend, sagte sie laut dem Prinzen: »Allah akbar! Gott ist groß! Alle geheimen Dinge liegen in seiner Hand. Er allein lenkt das Schicksal von Königen und Fürsten, und kein Vogel fällt ohne seinen Willen vom Baum und aus dem Nest.« Nach dieser religiösen Einleitung, die seinem Charakter als frommer Moslem entsprach, fuhr der Uhu fort und erklärte: »Wisse, o Prinz, dass dieses Land voll von Geheimnissen ist, die nur ganz wenige Menschen kennen, weil man dazu in der Kabbala schon sehr gut bewandert sein muss. Ich bin es, und mir ist alles erschlossen! Merke also gut auf und höre. In den benachbarten Bergen gibt es eine Höhle. Drinnen befindet sich ein eiserner Tisch, und darauf liegt eine vollständige Zauberrüstung. Auch steht seit Generationen ein verwunschenes Pferd dort, das der Spruch eines Magiers gleichzeitig mit dem Panzerkleid und den Waffen in die Grotte gebannt hatte.« Der Prinz war außer sich vor Staunen aufgesprungen, während die Eule mit ihren großen Augen blinzelte und die gefiederten Hörner spitzend fortfuhr: »Vor vielen Jahren begleitete ich hier und da meinen Vater auf den Rundreisen durch seine Besitzungen, und, wir kamen dabei auch in die erwähnte Höhle. Mehrmals übernachteten wir dort bei ansässigen Vettern und Basen, so dass ich also bald das Geheimnis kannte. Als ich noch eine ganz kleine Eule war, erzählte mir auch einmal mein Großvater, dass diese Rüstung und das gewappnete Pferd einem maurischen Zauberer gehörten, der nach der Einnahme von Toledo durch die Christen in dieser Höhle Zuflucht suchte, hier starb und Ross und Waffen unter einem geheimnisvollen Bann zurückgelassen habe. Allein ein Maure, sagte mir mein Großvater weiter, könne den Zauber brechen, und das nur von Sonnenaufgang bis zum Mittag; jeder aber, der sich in dieser Zeit der Rüstung bediene, werde seine Gegner besiegen, wer immer sie auch seien. « »Genug, gehen wir zur Höhle! « rief Achmed aus. Von seinem sagenreichen Begleiter geführt, stand der Prinz bald vor der Höhle, wo einst der maurische Magier seine letzte Zufluchtstätte gefunden hatte. Sie lag in einer der wildesten Bergschluchten hinter Toledo, und den Höhleneingang konnte nur das scharfe Auge einer Eule oder der Späherblick eines Archäologen entdecken. Eine sich nie verzehrende Ölfunzel verbreitete im Innern der Grotte ein feierliches Dämmerlicht, und das Auge Achmeds musste sich erst an die Dunkelheit gewöhnen, ehe er die sich darin befindlichen Gegenstände unterscheiden konnte. Auf einem eisernen Tisch in der Mitte der Höhle sah er die erwähnte Zauberrüstung, daneben lehnte eine Lanze, und etwas im Hintergrund stand unbeweglich ein kampfmäßig aufgezäumter Hengst, schön wie ein klassisches Standbild. Die Rüstung, der Harnisch und das Zaumzeug glänzten hell, als habe sie ein eifriger Knappe erst vor Stunden wieder einmal aufpoliert. Das Ross schien gerade von der Weide zu kommen, und als ihm der Prinz die Hand streichelnd auf den Kamm legte, da scharrte es mit den Hufen im Boden und wieherte vor Freude, dass die Wände zitterten. Im Besitz von Ross und Waffen beschloss der granadinische Königssohn, sich im bevorstehenden Turnier zum Kampf zu stellen und um die Hand der schönen Aldegunde zu werben. Der entscheidende Morgen brach endlich an. Die Schranken für den Kampf waren in der Vega gerade unter den Felsmauern Toledos aufgestellt; rund um den Platz hatte man Bühnen und Galerien errichtet, die reichsten Teppichschmuck zeigten. Kunstvolle Baldachine aus reiner Seide spendeten Schatten und schützten die Zuschauer vor den heißen Strahlen der kastilischen Sonne. Die edelsten und schönsten Damen des Landes waren auf den Tribünen versammelt, besprachen das Tagesereignis und unterhielten sich über die Ritter, die mit Pagen und Knappen stolz den Turnierplatz überquerten; und als die Prinzen erschienen und mit geöffneten Visieren den reichen Damenflor grüßten, da hob ein allgemeines Murmeln an, ein Rätselraten, denn unter diesen Kavalieren musste ja der künftige Gemahl Aldegundens sein, der im ritterlichen Wettstreit seine Gegner aus dem Sattel zu werfen hatte. Aber all das schien in den Schatten gerückt, als die Prinzessin selbst erschien und auf der Tribüne des Königs, ihres Vaters, Platz nahm. Alles erhob sich ehrerbietigst von den Sitzen, voll Bewunderung schwenkten die jungen Edelmänner ihre Waffen, und Barden stimmten einen Lobgesang an; denn wenn auch der Ruf von der Schönheit des Königskindes über die Mauern ihres Jungfernsitzes bis weit in fremde Lande gelangen konnte, so übertraf ihre Schönheit doch alle Erwartungen. Kein Wunder also, dass die ritterlichen Bewerber sich im Sattel zurechtsetzten, jeder seine Lanze fester fasste und die Gegner abwägend zu messen schien. Die Prinzessin machte indessen gar keinen fröhlichen Eindruck. Ihre Wangen wurden bald rot, bald blass, und ihre Augen streiften mit ruhelosem und unbefriedigtem Ausdruck die Reihen stolzer Ritter entlang. Schon sollten die Trompeten den Beginn der Kampfspiele ankünden, als der Herold die Ankunft eines fremden Ritters meldete, der auch noch am Turnier teilnehmen wollte. Achmed ritt in die Schranken! Alle staunten. Ein mit Edelsteinen besetzter Helm saß fest auf seinem Turban Panzer, Harnisch und Schienen waren mit Gold ausgelegt, Schwert und Dolch stammten aus den Werkstätten in Fez, und in Scheide, Griff und Korb glänzten kostbare Diamanten. Ein runder Schild hing an seiner Schulter, und in der Hand trug er die zauberkräftige Lanze. Die prächtigen Decken, Schabracke und Schabrunke, waren reich gestickt und schleiften über den Boden, während das stolze Ross sich hoch aufbäumte, durch die Nüstern schnaubte und vor Freude laut wieherte, wieder einmal Waffenglanz zu sehen und seinen gepanzerten Ritter in reichem Waffenschmuck mit Krummschwert und Halbmond tragen zu können. Die stolze Haltung Achmeds fiel allgemein auf, und viele Damen schauten recht huldvoll zu ihm hinunter; und als gar sein Name »Der Liebespilger« angekündigt wurde, da entstand unter den feurigen Kastilianerinnen geradezu ein Tumult, denn allzu groß war die weibliche Neugier. Doch die Schranken blieben unserem Ritter geschlossen, denn, so sagte man ihm, nur Prinzen königlichen Geblüts dürften kämpfen. Er nannte also seinen vollen Namen, Rang und Herkunft. Aber das war noch viel schlimmer! Er war Mohammedaner und durfte somit nicht an einem Turnier teilnehmen, dessen Preis die Hand einer christlichen Prinzessin war. Die adeligen Bewerber, aus nah und fern, umringten Achmed mit drohenden Mienen, wobei sich einer von herkulischer Gestalt durch sein unverschämtes Benehmen ganz besonders hervortat. Laut verlachte er den jungen Mauren seines zierlichen Körperbaues wegen und spottete über den vulgären Beinamen, der, wie er sagte, eines kriegerischen Ritters unwürdig sei. Solche Beleidigungen konnte der Prinz natürlich nicht auf sich beruhen lassen. Voll Zorn forderte er den rüden Nebenbuhler zum Zweikampf heraus. Beide nahmen allso gleich Distanz, legten ihre Lanzen an und gingen aufeinander los; voll Wut der Spanier, überlegt und berechnend der Maure. Aber schon bei der ersten Berührung mit der Zauberlanze flog der muskulöse Spötter aus dem Sattel und wälzte sich am Boden. Achmed hätte jetzt gerne innegehalten und seinem Feind versöhnend die Hand gereicht, aber er hatte nicht mit seinem Araberhengst und mit der dämonischen Waffe gerechnet, die, einmal in Tätigkeit, nicht zu zügeln waren, bis kein Gegner sich mehr blicken ließ. Das wilde Ross stürzte sich ins dichteste Gedränge, und die Lanze warf jeden zu Boden, der sich ihr in den Weg stellte. Der sanfte Prinz ritt wie toll auf dem Kampfplatz herum, schlug alles nieder, und bald lagen Ritter und Bauern, Adelige und Bürger, Knappen und Knechte auf dem Rasen und wussten nicht, wie das zugegangen war, während er voll Kummer über seine unfreiwilligen Heldentaten das höllische Ross zu zügeln trachtete. Der König raste voll Wut über die ihm angetane Schmach und, um seine Gäste und Untertanen zu rächen, ließ er umgehend seine Leibgarde ausrücken, die den Mauren gefangen nehmen und bändigen sollte. Doch in wenigen Sekunden lagen auch diese Ritter besiegt und geschlagen auf dem Boden Nun griff der König persönlich ein. Er legte seine Staatsgewänder ab, griff nach Schild und Lanze und ritt gewappnet auf den Turnierplatz, denn er wollte dem Ungläubigen schon zeigen, wie man sich am Hof eines christlichen Fürsten zu benehmen habe. Aber auch Seiner Majestät erging es nicht besser als den Höflingen und Untertanen. Ross und Lanze achteten weder Rang noch Namen, und zu Achmeds Verdruss ging sein Hengst den König scharf an, und ehe er noch richtig überlegen konnte, fiel dieser bereits aus dem Sattel, und die Krone rollte in den Staub. In diesem Augenblick stand die Sonne auf voller Höhe; der magische Bann verlor seine Kraft, und Rüstung, Ross und Speer mussten in die Höhle zurück, wo sie seit vielen Lustren bereits gestanden hatten. Der Araberhengst durchflog die Bahn, setzte über die Schranken, sprang in den Tajo, durchschwamm dessen wilde Strömung, galoppierte mit dem atemlosen Prinzen, der sich an Kamm und Mähne festhielt, durch die Bergschlucht zur Grotte. Dort stellte er sich neben den eisernen Tisch und wurde wieder unbeweglich wie eine Bildsäule. Herzlich froh stieg Achmed ab, legte die Rüstung auf ihren Platz und lehnte die Lanze an die Wand. Dann setzte er sich auf den Boden und begann zu grübeln und zu seufzen, denn das; Zauberzeug hatte ihn in eine wirklich ganz verzweifelte Lage gebracht. Niemals mehr durfte er sich in Toledo zeigen, nachdem er dessen Ritterschaft solche Schmach und dem König und Landesherrn solche Beschimpfung zugefügt hatte. Und was sollte erst die Prinzessin von ihm denken, von seinem rohen und draufgängerischen Benehmen ? Voll Angst und Furcht schickte er seine beiden gefiederten Ratgeber auf Kundschaft aus, um ihm dann Nachricht zu bringen, was man in Toledo von dem Vorfall hielt. Der Papagei trieb sich auf allen öffentlichen Plätzen herum, trat in die besuchtesten Schenken Toledos und war bald wieder mit einem ganzen Sack voll Neuigkeiten beim Prinzen in der Höhle. Ganz Toledo war bestürzt. Die Prinzessin trug man nach dem Vorfall besinnungslos in den Palast; das Kampfspiel hatte ein jähes und unvorhergesehenes Ende genommen, und alles sprach von dem plötzlichen Erscheinen, den wunderbaren Taten und dem seltsamen Verschwinden des mohammedanischen Ritters. Einige aus dem Volke erklärten ihn für einen maurischen Hexenmeister, andere wieder hielten ihn gar für einen Teufel, der menschliche Gestalt angenommen habe, und die Alten schließlich erzählten auf dem Markt und vor den Kirchen Geschichten von verwunschenen Schätzen und gebannten Kriegern, und meinten, dass es einer von diesen sein könnte, der plötzlich aus seiner Höhle hervorgekommen sei, um die ganze spanische Christenheit zu schrecken. Was man auch immer erzählen mochte, alle stimmten darin überein, dass kein Sterblicher derartige Wundertaten vollbringen und solch brave und wackere Streiter aus dem Sattel heben könne, ohne mit dem Teufel selbst oder wenigstens mit einem seiner Anhänger im Bund zu sein. Die Eule flog des Nachts fort, flatterte durch die in Dunkelheit gehüllte Stadt und ließ sich auf Dächern und Schornsteinen nieder, um so etwas zu erfahren. Sie kam natürlich auch zum königlichen Palast, der auf felsiger Höhe über die Stadt emporragte, und stöberte dort in einsamen Zimmern, auf Zinnen und Terrassen herum; lauschte an jeder Mauerritze und Türspalte und glotzte durch die beleuchteten Fenster der Diensträume und, neugierig wie sie war, auch in die Frauengemächer, so dass beim Anblick der großen starren Augen einige der Hofdamen in Ohnmacht fielen. Als der Morgen dämmerte, kam sie endlich wieder zurück und erzählte dem hart wartenden Prinzen alles, was sie gesehen und gehört hatte. Nach einem ausführlichen Lagebericht erzählte der Uhu schließlich: »Als ich einen der höchsten Türme des Palastes auskundschaftete, sah ich in einem schön eingerichteten Schlafzimmer die holde Prinzessin auf einem Ruhebett liegen. Ärzte und Dienerinnen, Hofdamen und Räte umgaben das Lager, doch die Königstochter wollte von ihren Diensten nichts wissen und bat alle, sie allein zu lassen und sich endlich zurückzuziehen. Als sie weg waren, sah ich, wie sie einen Brief aus ihrem Busen zog, ihn las, küsste und laut zu weinen begann. Ich muss dir ehrlich sagen, o Prinz, dass solche Klagen und solch bittere Tränen selbst mich, den ruhigsten aller Philosophen, zutiefst rührten. « Achmeds zärtliches Herz betrübten diese Nachrichten. »Nur zu wahr waren deine Worte, o weiser Eben Bonabben«, rief er laut aus, »Sorge und Kummer, schlaflose Nächte und heiße Tränen sind das traurige Los der Liebenden. Allah behüte die Prinzessin vor den verderblichen Folgen jenes Zustandes, den man Liebe nennt! « Weitere Nachrichten aus Toledo bestätigten den Bericht der Eule. Die Stadt war in heller Aufregung. Die Prinzessin hatte man in den festesten Turm des Palastes gebracht, und scharfe Wachen wehrten jedermann den Zugang zur Kemenate. Krank saß indessen die arme Aldegunde in ihrem Gemach. Es hatte sich ihrer eine verzehrende Schwermut bemächtigt, deren Ursache niemand kannte. Trank und Speise wies sie voll Ekel zurück und hörte auf keines der Trostworte ihrer Umgebung. Die geschicktesten Ärzte des Landes standen vor einem unlösbaren Rätsel und äußerten, denn irgend etwas mussten sie ja dem König sagen, dass eine Hexe ihre Hand im Spiele habe. Der besorgte Vater ließ daher öffentlich verkünden, wer seine Tochter heilen würde, könne sich als Lohn den kostbarsten Juwel aus der königlichen Schatzkammer nehmen. Als, die Eule diese wichtige Nachricht hörte, schlummerte sie gerade in einem Winkel der Höhle. Sie wurde wach, rollte geheimnisvoll ihre großen Augen und rief: »Allah akbar! Glücklich ist der Mann, dem die Heilung gelingt; aber er muss wissen, was er aus der Schatzkammer dafür fordert! « "Was meinst du, höchst ehrenwerte Eule?« fragte kurz Achmed. »Höre, o Prinz, auf das, was ich dir nun erzählen will. Wie du sicherlich schon wissen wirst, bilden wir Eulen eine gelehrte Vereinigung von Forschern, die ihre Aufmerksamkeit ganz besonders den Altertümern und historischen Monumenten zuwenden. Während meines letzten Nachtfluges zu den Türmen und Palästen Toledos stieß ich ganz zufällig in einem Gewölbe des Münzturmes auf eine Akademie von weisen Eulen. Alle waren auf Numismatik, Heraldik und Kunstgeschichte spezialisiert, und man besprach mit Klugheit die Schriftarten und Zeichen an mehreren goldenen Kelchen und Reliquien, die in der königlichen Schatzkammer aufgehäuft lagen und noch von Roderich dem Gotenkönig herstammen sollen. Allgemeines Interesse erregten die mystischen Zeichen auf einem orientalischen Kästchen aus Sandelholz, denn sie waren den meisten Gelehrten unbekannt. Schon in mehreren Sitzungen behandelten die Akademiker dieses Thema) konnten sich aber trotz der gründlichsten Ausführungen von Fachleuten nicht einig werden, was wohl die kabbalistischen Zeichen darauf bedeuten mochten. Während meiner Anwesenheit erklärte nun eine alte Eule, sie war eigens zu diesem Zweck aus Ägypten dazu eingeladen worden, dass, im Einklang mit der Inschrift auf dem Kästchen, dieses das seidene Throntuch von Salomon, dem Weisen enthalten müsse, das ohne Zweifel nach der Zerstörung von Jerusalem von Juden nach Toledo gebracht worden war und aus unerklärlichen Gründen hier in einem Winkel der Schatzkammer vergessen liege. « Als die Eule ihren wissenschaftlichen Vortrag beendet hatte, blickte der Prinz eine Zeitlang sinnend vor sich hin und sagte dann in Gedanken versunken wie zu sich selbst: »Eben Bonabben erzählte mir von den wunderbaren Eigenschaften dieses außerordentlichen Gewebes. Es war bei der Eroberung Jerusalems durch die Römer verschwunden, und man glaubte, dass dieses zauberkräftige Kunstwerk für die Menschheit verloren sei. Ohne Zweifel wissen die Christen Toledos nicht, welch Wunderstück sie ihr eigen nennen. Wenn ich in den Besitz dieses Tuches gelangen kann, dann allerdings wäre mein Glück gesichert. « Am nächsten Morgen legte Achmed seine reichen Gewänder ab und kleidete sich in die einfache Tracht eines armen Wüstenarabers. Das Gesicht färbte er sich dunkelbraun, so dass niemand in ihm den stolzen Ritter vom Turnier erkannt hätte, der dort solche Bewunderung und auch solchen Ärger und Verdruss verursacht hatte. Einen Wanderstab in der Hand, den Reiseranzen an der Seite und im Sack eine kleine Hirtenflöte schritt er rasch auf Toledo zu. Ohne Anstand ließ man ihn durchs Tor, und er gelangte bald an die Pforte des Palastes. Dort meldete er sich beim diensthabenden Wachbeamten und sagte, dass er die Prinzessin heilen könne und die versprochene Belohnung erwarte. Ritter und Gardisten wiesen ihn aber zurück und wollten den armen Bewerber verprügeln. »Was kann wohl ein herumstrolchender Araber helfen, wo einheimische Kapazitäten und Größen bis heute nichts ausgerichtet haben?« schrien sie derart laut, dass der König sie hörte und befahl, den Araber kommen zu lassen. »Mächtigster König«, sagte höflich Achmed, »du hast einen armen Beduinen vor dir, der den größten Teil seines Lebens in den Einöden der Wüste verbrachte. Wie du wissen wirst, sind diese Stätten der Sammelplatz von bösen Geistern und Dämonen; auf einsamen Wachen fallen sie uns Hirten an, fahren dann zwischen die Herden, zerstreuen die flüchtigen Tiere und bringen manchmal selbst das geduldigste Kamel bis zur Tollwut. Musik ist das einzige Gegenmittel, das die Dämonen bannt. Von den Vätern her haben wir alte Weisen, die wir singen oder auf der Flöte spielen, wenn es Not tut, um die Teufel der Wüste auszutreiben und fernzuhalten. Ich gehöre einem alten Beduinenstamme an und kenne solche Melodien; wenn also deine Tochter unter dem Einfluss eines bösen Geistes steht oder gar behext wurde, dann, meinen Kopf verpfände ich dafür, kann das schöne Kind gesund werden. « Der König, wie alle Könige ein Mann von großem Verstand, hatte bereits von solchen Wundermelodien gehört und wusste auch, dass nur ganz bestimmte Wüstenbeduinen sie beherrschten. Rasch fasste er Hoffnung, denn Achmed hatte überzeugend gesprochen, und glücklich führte er ihn in den Palast und zum hohen Turm, wo hinter verschlossenen Türen im obersten Stockwerk die Prinzessin saß und weinte. Die Fenster des Wohngemaches von Aldegunden gingen auf einen Gang hinaus, von wo man einen herrlichen Rundblick auf Toledo und die umliegenden Berge hatte. jetzt waren Fenster und Balkontüren verhängt, denn das liebeskranke Kind konnte kein grelles Licht vertragen, zu groß war sein Kummer. Auf dem Gang vor der Kemenate hieß man den Prinzen sich setzen und seine Kunst zu versuchen. Er zog auch gleich seine Hirtenflöte hervor und blies darauf einige wilde und feurige Araberweisen. Auf dem Generalife zu Granada hatten ihn seine Leibdiener solche Stücke gelehrt, wenn er des Lernens müde, Bücher und Papyrusrollen in eine Ecke geworfen hatte. Nervenaufpeitschend und schrill hallten die Flötentöne durch die Fenster in das Schlafgemach der Prinzessin; doch diese blieb teilnahmslos und reagierte nicht darauf. Spöttisch lächelnd schauten die gelehrten Doktoren auf den armen Araberjungen, der das zuwegebringen wollte, was sie, die Weisen des Landes, nicht geschafft hatte. Endlich legte Achmed das Instrument weg und sang nach Art der Barden einige einfache Verse voll Liebe und Zärtlichkeit. Es war der Text des Briefes, den er einstens an die unbekannte Geliebte geschrieben hatte und dessen Überbringer der arme Tauber war. Aldegunde erkannte sofort den Inhalt des Liedes, und eine jähe Freude durchzuckte ihr kleines Herz. Sie hob den Kopf und lauschte gespannt auf Worte und Melodie; dann stürzten Tränen der Freude aus ihren Augen und liefen ihr über die bleichen Wangen, die sich schon leicht sanft röteten. Ihr Busen hob und senkte sich im Aufruhr der Gefühle, und nur allzu gern hätte sie den Sänger gesehen Doch Anstand und Scham verschlossen ihr den Mund. Der König las aber diesen Wunsch aus den Mienen seines geliebten Kindes und befahl, Achmed ins Zimmer zu führen. Geistesgegenwärtig benahmen sich die Liebenden; sie schauten sich nur in die Augen, und beide wussten gleich, wie sie sich verhalten mussten, dass niemand Verdacht schöpfe und erriete, was sie dachten. Die Musik hatte gesiegt und einen vollkommenen Triumph errungen! Pfirsichroter Schimmer legte sich auf die zarten Züge der Prinzessin; frisch leuchteten ihre Lippen, und schmachtenden Auges blickte sie versonnen und glücklich vor sich hin. Einen seidenen Überwurf streifte sie von den Schultern, denn heiß fuhr das Blut wieder durch ihre Adern. Alle anwesenden Ärzte schauten einander erstaunt an und wussten nicht, was sie denken und sagen sollten. Voll Bewunderung und Scheu betrachtete der König den arabischen Sänger und sagte: »Wunderbarer Jüngling! Du sollst hinfort mein Leibarzt sein, und kein Mittel will ich künftig nehmen, das nicht du mir verschrieben hast; und deine Musik soll allen helfen, wie sie meinem Kind geholfen hat. Sage mir, welche Belohnung willst du haben? Das kostbarste Kleinod meiner Schatzkammer sei dein. « »0 König«, erwiderte Achmed, »ich frage nicht nach Gold, Silber oder Edelsteinen, denn die Schätze dieser Welt sind für mich ohne Wert. Aber du hast in deiner Schatzkammer eine Reliquie aus der Maurenzeit, als diese noch in Toledo saßen; es ist ein Kästchen von Sandelholz und drinnen ist ein altes seidenes Gewebe. Gib mir dieses Kästchen mit dem Tuch, und ich bin zufrieden. « Die Anwesenden waren von der großen Bescheidenheit des Beduinenjünglings überrascht, und ihr Erstaunen wuchs noch, als sie das Kästchen und das Gewebe sahen. Einfach war die Schatulle und einfach das Tuch. Es handelte sich um ein grünseidenes Stück Stoff, ohne besonderen Schmuck, das hebräische und chaldäische Schriftzeichen zeigte. Augenzwinkernd sahen sich die Hofärzte an und lächelten, denn zu groß war die an Dummheit grenzende Selbstlosigkeit ihres neuen Kollegen, der anscheinend nicht wusste, was er wollte. Der Prinz schien nichts von all dem zu bemerken und sagte ernst: »Dieser Teppich bedeckte einstens den Thron Salomons des Weisen; er ist wert, dass man ihn zu Füßen des schönsten und holdesten Wesens lege. « Mit diesen Worten breitete er ihn auf dem Balkon vor dem Diwan der Prinzessin aus, setzte sich darauf und sagte jedes Wort betonend: »Gott ist groß, sein Wille geschehe! Was im, Buch des Schicksals geschrieben steht, muss sich erfüllen, und niemand kann es verhindern. Seht, die Prophezeiung der Astrologen erfüllte sich! Wisse, o König, Aldegunde und ich wollen ein Paar werden, denn wir lieben uns im geheimen schon seit langer Zeit. Schau mich nur genau an. Ich bin der Liebespilger!« Kaum hatte Achmed diese Worte gesprochen, als sich das Tuch langsam in die Luft erhob und die beiden Liebenden davontrug. Der König, die Ärzte und Hofleute starrten ihnen nach, Mund und Augen weit aufgerissen, bis sie nur mehr ein kleiner Punkt waren, der auch bald am fernen Horizont verschwand. Der König tobte vor Wut und ließ den Schatzmeister kommen. »Wie konnte so etwas geschehen«, schrie er ihn an, »wie konntest du einem Ungläubigen nur eine solche Kostbarkeit ausliefern?« »Es ist ein Jammer, Majestät! Wir kannten die Wunderkraft des Stoffes nicht; niemand wusste die Inschrift auf dem Kästchen zu entziffern! Wenn es sich in der Tat um den Überwurf von Salomons Thron handelt, was ich nach der gegenwärtigen Sachlage annehme, dann können dessen Besitzer auf ihm durch die Lüfte fliegen, denn das ist seine magische Kraft. « Der König ließ Alarm schlagen und sammelte ein gewaltiges Heer, an dessen Spitze er gegen Granada zog, um die Flüchtlinge zu verfolgen und die ihm angetane Beleidigung zu rächen. Lang war der Marsch und beschwerlich der Weg, aber endlich kam die Christenschar doch ans Ziel und schlug in der Vega ihr Lager auf. Am nächsten Morgen schon sandte der König Herolde in die Stadt, um die Rückgabe seiner Tochter zu fordern. Der Maurenkönig ritt ihnen mit seinem ganzen Hofstaat entgegen, und zu ihrer Bestürzung erkannten sie in ihm den Sänger aus der Wüste Arabiens, der die Prinzessin erst heilte und dann entführte. Achmed hatte nämlich unterdessen nach dem Tod seines Vaters den Thron Granadas bestiegen und die schöne Aldegunde geheiratet. Als der König von Toledo erfuhr, dass seine Tochter ihren christlichen Glauben beibehalten durfte, war er bald besänftigt und gab nachträglich zur stattgehabten Hochzeit seinen Segen; nicht dass er gerade besonders fromm gewesen wäre, aber bei Fürsten und ähnlichen Potentaten ist ja bekanntlich die Religion eine Ehrensache und Mittel zur leichteren Handhabung des untertänigen Volkes. In Granada gab es nun statt der vorgesehenen blutigen Schlachten eine Reihe von Festen und Feiern, nach deren Ablauf der König und die Seinen recht vergnügt nach Toledo zurückkehrten, während das junge Paar glücklich weiterlebte und von der Alhambra aus weise sein Reich beherrschte. Es wäre noch hinzuzufügen, dass die Eule und der Papagei dem Prinzen in kurzen Tagreisen einzeln nach Granada gefolgt waren. Erstere reiste bei Nacht, besuchte Vetter und Basen, durchstöberte Gehöfte, Türme und Höhlen und frischte so alte Freundschaften auf. Der Papagei wiederum machte seine Aufwartung nur in feinen Kreisen, so beim Landadel, wo er ganz besonders bei Damen großes Glück hatte. Achmed belohnte dankbar die Dienste, die sie ihm auf seiner Pilgerfahrt geleistet hatten. Die Eule machte er zu seinem Staatskanzler und den Papagei zum Haus- und Hofmarschall. Es ist wohl nicht notwendig, ganz speziell zu vermerken, dass kein Land je weiser regiert und kein Hofstaat je prunkvoller geführt wurde, als der zu Granada zur Zeit Achmeds und Aldegundens. |
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Dieses Märchen wurde mir von Dieter [chax@wtal.de] zur Verfügung gestellt. |