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Die Loreley


Vom Loreleyfels herab tönt oft eine wunderholde Frauenstimme, deren süßer Gesang alle bezaubert, welche ihn vernehmen. Den jungen Schiffern aber wird dieser Gesang nicht selten verderblich, indem sie um seinetwillen vergessen, auf den Strudel zu achten, der am Fuße des Felsens gar tückisch sein Wesen treibt und alles verschlingt, was in seinen Bereich kommt. Darum wird denn auch die holde süße Stimme von alt und jung gefürchtet, und wundersame Sagen gehen von der Jungfrau, der sie angehört, im Munde des Volkes.

Einige erzählen: Die Jungfrau Loreley sei ein sterblich Mädchen gewesen und die Tochter eines edlen Ritters, dessen Burg auf dem Felsen thronte, der jetzt noch nach dem Mädchen benannt wird. Ein junger, schöner Ritter warb um das junge, schöne Fräulein und gewann ihre Liebe und das Jawort ihres Vaters. Der Vermählungstag war schon bestimmt, und der Ritter fuhr noch einmal den Rhein hinauf nach seiner Burg, um dort selbst alles zum Empfang seiner Braut bereiten zu lassen. Aber der Ritter kehrte nicht wieder, denn er war falsch- und treulos und jagte schon wieder einer andern Jungfrau nach.

Vergebens harrte Loreley, als der bestimmte Tag ihrer Vermählung anbrach, vom frühen Morgen an des Geliebten. Fort und fort blickte sie vom hohen Söller der Burg hinab, stromaufwärts. »Das mag mein Liebster sein«, rief sie freudig, als sie das erste Schifflein erblickte, so mit dem Strom schwamm - aber ihr Liebster war nicht auf dem Schifflein.

»Das wird mein Liebster sein«, rief sie um Mittag, als sie wieder ein zierlich geschmücktes Fahrzeug gewahrte, und rascher schlug ihr Herz, - aber sie hatte sich getäuscht - ihr Ritter war wieder nicht auf dem Schifflein.

»Das muss mein Liebster sein«, rief sie angstvoll, als sie gegen Sonnenuntergang den dritten Kahn gewahrte. Aber ihr Ritter war auch diesmal nicht dabei. Da erfasste wilder Schmerz das Herz der Jungfrau, Verzweiflung verwirrte ihre Sinne, und als der Mond über die jenseitigen Berge aufging und sie noch einen Kahn gewahrte, in welchem nur ein Mann saß, da rief sie trotzig: »Das soll mein Liebster sein!« Aber auch diesmal war es nicht ihr Liebster, sondern nur ein armer Fischer, der bei nächtlicher Weile seine Netze auswerfen wollte.

Da riss die Loreley jammernd sich ihren Brautkranz aus den goldigen Locken, warf ihn, ihren treulosen Liebsten verwünschend, in die Flut und stürzte sich nach, also ihr Leben endend.

Der alte Vater starb vor Jammer, und ein Unwetter zerstörte die Burg, dass kein Stein mehr davon sichtbar blieb, Loreley aber muss als Geist auf dem Felsen umgehen, und ihr Gesang verlockt das treulose Geschlecht der Männer, betört ihre Sinne und lässt sie dann zugrunde gehen in dem Strudel, der entstand, als Loreley sich hinabstürzte in das feuchte Grab.

So lautet die erste Sage von der Loreley.

Nach einer andern heiteren Sage ist Loreley eine Undine, und wie alle ihres Geschlechts, ein liebenswürdiges, launisches Kind, das nur hin und wieder etwas zu leichtsinnig und unbedacht verfährt, wenn es scherzt, so dass daraus ohne ihre Absicht allerlei Unheil entsteht. So war es denn einstmals geschehen, dass ein edler Junker, der einzige Sohn eines mächtigen Rheingrafen, als er auf dem Rheine fuhr und das wunderbare Singen der Loreley hörte, davon so hingerissen wurde, dass er den Schiffern befahl, sie sollten ihn hinfahren nach dem Felsen. Umsonst war alles Mühen der erschrockenen Schiffer, ihn von diesem Befehl abzubringen. Sie mussten endlich gehorchen und fuhren nach dem Felsen hin. Doch bevor sie ihn noch ganz erreicht hatten, konnte der Junker dem gewaltigen Zauber nicht mehr widerstehen. Er sprang aus dem Kahn auf einen Vorsprung des Felsens, doch hier glitt sein Fuß aus auf dem nassen Steine, er stürzte in den Rhein und die Wellen begruben ihn. jammernd brachten die Schiffer dem alten Rheingrafen die Nachricht, dass sein Sohn durch die böse Kunst der Loreley-Hexe - als wofür sie die Undine hielten - verlockt und sein Grab in den Fluten des Rheins gefunden habe. Der alte Rheingraf zerriss bei dieser Kun e sein Gewand und raufte sich das Haar, dann aber versammelte er seine Reisigen und befahl ihnen wütend, den Loreleyfelsen zu umstellen und die verruchte Hexe tot oder lebend zu fassen.

Die Reisigen zogen aus und umstellten den Fels, von dessen höchsten Gipfel herab sie das Lied der Loreley klingen hörten. Der Anführer der Reisigen und einige seiner Gefährten schlichen hinauf, und wie sie um eine Felsecke bogen, da sahen sie die Loreley dasitzen, im wasserblauen, durchsichtigen Gewande, reich geziert mit köstlichem Geschmeide, das im Abendscheine funkelte und blitzte. Mit goldenem Kamme kämmte sie ihr goldiges Haar und sang immerfort dazu.

»Am Himmel glüht der Abendschein, tief unten murmelt Vater Rhein geheimnisvolle Kunde. Auf luft'ger Höhe froh und frei singt ihre Weise Loreley: Loreley! Loreley Es ist die Weihestunde.

Du holder Schifferknabe du, was horchst du meinem Liede zu und schaust nur in die Höhe? Ein Zauber webt in dieser Nacht, nimm vor Betörung dich in acht, Loreley! - Loreley! Sonst weh dir - Knabe - wehe!«

Als der Anführer der Reisigen solches hörte, gab er seinen Leuten ein Zeichen, und alle brachen hinter dem Felsen hervor und standen drohend vor der Jungfrau.

Loreley aber erschrak nicht im geringsten, sondern blieb ruhig sitzen, und lächelnd die rauhen Männer anblickend, fragte sie: »Was wollt Ihr?«

»Dich wollen wir fangen, tot oder lebendig«, entgegnete der Anführer, »denn du bist eine böse Zauberin, hast den edlen Sohn unsers edlen Rheingrafen ermordet.« Da lachte die Loreley laut auf, erhob sich rasch, trat an den jähen Rand des Felsens, klopfte in die kleinen weißen Hände und sang hinab in den Rhein:

»Vater! Deine Rosse geschwind sende, dass sie tragen dein Kind, Loreley! Loreley!«

Da brauste es tief unten gewaltig, und zwei ungeheure weiße Schaumwellen, anzusehen wie Rosse, bäumten sich empor, hoben auf ihren Rücken die reizende Undine, welche neckisch lachte, und trugen sie hinab in den Rhein.

Da merkten die ausgesandten Männer, dass Loreley keine Hexe und Zauberin, sondern eine Undine sei, und als sie zurückkehrten, um ihrem Herrn diese Mär zu bringen, fanden sie daheim zu ihrer größten Freude und Verwunderung den jungen Rheingrafen frisch und gesund. Es war ihm nichts Böses widerfahren, als dass die neckische Wasserfee ihn drei Tage lang hatte auf dem Grunde des Rheins liegen lassen, um seine Liebesglut ein wenig abzukühlen in dem kalten Wasser. Aber nicht alle jungen Burschen kamen so leichten Kaufs davon wie der junge Rheingraf, und noch heutigen Tages geschieht alljährlich mindestens an einem, was Heine singt:

»Den Schiffer im kleinen Schiffe erfasst es mit tiefem Weh! Er schaut nicht die Felsenriffe; er schaut nur die Wasserfee.

Ich glaube, die Wellen verschlingen am Ende noch Schiffer und Kahn; und das hat mit ihrem Singen die Loreley getan.«


Dieses Märchen wurde mir von Dieter [chax@wtal.de] zur Verfügung gestellt.