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Der Hühnerdieb


Seht, in Aachen gab es einmal ein Denkmal, das einem Hühnerdieb gewidmet war, darüber müsste man einmal nachdenken.

Er stand in der Mitte eines Brunnens, rundherum saßen kleine Küken, aus deren Schnäbel lustig das Wasser sprang. Es war eigentlich ein rechter Kinderbrunnen, denn was weiß so ein kleines Wesen schon von dem Denkmal eines Kaisers? Davor kann einem schon ordentlich bange werden, wenn man noch klein ist.

Der Hühnerdieb aber brachte die Kinder zum Lachen. Da stand er, dieser sonderbare Kauz und bemühte sich vergeblich, sein Huhn zu verstecken. O, es war köstlich anzusehn. Seht, das wäre etwas, um ein Märchen daraus zu machen. Nun, wir fangen gleich an.

Es war einmal ein Zauberer, der wohnte im Aachener Wald und trieb dort sein Unwesen. Er war ein Diener des Teufels, und alles, was er sich ausdachte, war böse und sollte den Menschen schaden. Außer dem Haus des Zauberers, das unsichtbar war, gab es im Wald noch eine einzige Hütte. Die Hütte gehörte dem Hausierer Thomas. Dieser hing sich jeden Morgen seinen Kasten um und ging in die Stadt. O, er war nicht furchtsam und sang dazu:

"Mädchen, seht in meinen Kasten, was ich da für süße Lasten Schleppe in die Stadt:

Perlen, Blumen, bunte Bänder, Spitzen für die Samtgewänder. Glaubt mir, niemand hat sonst so hübsche, kleine Dinge, Goldgeschmeide, Silberringe, Spiegel, groß und klein. Mädchen, wenn ihr geht zum Tanze, braucht ihr doch von meinem Glanze, kommt, und sagt nicht nein!

Wer sollte da "nein" sagen, wenn Thomas seinen Kasten öffnete. Aber er hatte eine Untugend, dieser Thomas, er verschenkte zuviel an solche, die kein Geld hatten, und so konnte er ja zu nichts kommen. Früher war es wohl nicht so schlimm, als seine Frau noch lebte. Aber jetzt lachte er über seine Flicken, und die kleine Tochter zu Hause brauchte nicht viel. Sie war emsig und fleißig und schaffte den ganzen Tag. kam der Vater nach Hause, so war der Kasten gefüllt mit Brot, Mehl und Fleisch. Es gab keine Not. Manchmal brachte Thomas auch ein Huhn mit, und das war immer eine besondere Freude. Die Tochter sagte wohl:

"Lieber Vater, verdienst du so viel?" "Aber ja", sagte er fröhlich, "iss doch, es geht nichts über Hühnersuppe." "Nein", sagte die Tochter, "wenn du noch einmal ein Huhn bringst, so wollen wir es gut füttern und behalten, damit es uns Eier legt." "Ja, da hast du recht", meinte der Vater, und von dem Tage ab brachte er sehr oft ein Huhn mit. Das war aber doch der Kleinen ein wenig sonderbar. Einmal, als der Vater mit seinem Kasten fortging, schlich die Tochter ihm leise nach. Da sah sie nun, wie er aus seinem Kasten eine Menge verschenkte. Als nichts mehr darin war, ging er zum Hühnermarkt und stahl ein Huhn. Die Kleine erschrak heftig und ging zur Seite. Und da geschah es zum ersten Mal, dass eine Bauernfrau ihr gestohlenes Huhn in der Tasche des Hausierers entdeckte, nicht das ganze Huhn, der Kopf schaute hinaus, und es entstand ein großes Gelächter auf dem Markt. Wie sich das Mädchen in seiner Not umwandte, stand der Zauberer da, aber es erkannte ihn nicht, weil er aussah wie ein gewöhnlicher Mensch. "Ich kann dir helfen", sprach er mit heiserer Stimme, "aber du musst mir die Bänder aus deines Vaters Kasten bringen. Ich werde dir zeigen, wo ich wohne!" Und er wies mit seinem knöchernen Finger auf den kleinen Turm des roten Hauses zu, gleich hinter dem Brunnen des Marktes. Das Mädchen nickte nur und sah traurig auf den Vater, der von den Umstehenden hin- und hergezerrt wurde. Plötzlich rief jemand: "Er hat das Huhn ja gar nicht gestohlen, es ist ein Schwan, ein junger, schwarzer Schwan." Entsetzt lief das Mädchen davon. "Der Fremde war ein Zauberer", sprach es zu sich selbst, "der Fremde war ein Zauberer." - Als am Abend ihr Vater seinen

Kasten auf den Boden stellte und ihn öffnete, war der schwarze Schwan darin zu sehen und zwei goldene Eier. "Sieh einer an!" sagte Thomas und rieb sich die Hände, "nun sind wir bald reiche Leute!" Die Tochter aber fürchtete sich sehr. Die Zeit verging. Thomas besaß nun schon eine ganze Kiste voll goldener Eier, und das Mädchen dachte an die Bänder, die es dem Fremden versprochen hatte, doch es schwieg darüber. Da wurde der Vater eines Tages krank, und er sagte zu dem Mädchen: "Geh' du mit dem Kasten in die Stadt. Du siehst, ich werde alt. Wir müssen uns jetzt überlegen, was wir mit den Eiern machen? Geh nur, ich werde mir schon etwas ausdenken." Das Mädchen ging, tief in Gedanken versunken achtete es nicht auf den Weg und kam erst zu sich, als es mitten auf dem Hühnermarkt stand.

Es erschrak heftig, aber der Kasten war schwer, und es setzte sich eine Weile. Da öffnete sich in dem roten Turm ein Fenster und eine heisere Stimme rief: "komme herauf, kleine Schöne, ich brauche Bänder, viele Bänder!" Zitternd erhob sich das Mädchen, und die Türe des Hauses öffnete sich von selbst. Das Mädchen stieg die Treppe des Turmes hinan. Als es die letzte Stufe erreichte, verlor es die Besinnung. Als das Mädchen erwachte, lag es auf einem bunten Teppich in einem runden Zimmer, neben ihm kauerte der Zauberer vor dem geöffneten Kasten, und in seiner Hand lagen die Bänder. "Wie heißt du?" fragte er. "Eva", antwortete das Mädchen und richtete sich auf. "Du musst hierbleiben", sagte der Zauberer, "dein Vater wird sich einen neuen Kasten machen müssen, wenn er wieder gesund ist." - "Ich verkaufe dir meine Bänder und gehe wieder, ich bleibe nicht hier!" sagte das Mädchen. Doch da lachte der Zauberer, er lachte so heftig, dass der ganze Raum schwankte. Plötzlich war die runde Wand des Zimmers mit Spiegeln bedeckt, und in der Mitte des Raumes hing ein Kronleuchter mit vielen Kerzen. "Was ist das?" rief das Mädchen erstaunt. "Ich brauche nur zu lachen", erwiderte der Zauberer, "und es wird immer schöner. O, bei den Menschen ist das nicht viel anders, wenn sie glücklich sind, halten sie die nichtigsten Dinge für etwas Wunderbares." - Der Zauberer lachte in einem fort. Aus dem Boden wuchsen große, farbenprächtige Blumen, und sogleich waren auch die Töpfe und Schalen dazu da. kleine Tische mit weißen Marmorplatten erhoben sich aus dem Nichts, und es war mancherlei darauf zu sehen. Gläser mit geschliffenen Rändern, Spitzen, Brokate, Ringe und Ketten. Ein kleines Haus aus Gold stand da mit zierlichen Säulen und Bogen, alles mit Edelsteinen besetzt und kleinen weißen oder rosa Perlen. Die Türe war aus Glas, und man sah einen Knaben aus weißem Porzellan dahinter sitzen, der seinen Kopf in die Hände stützte. "O, wie schön", flüsterte Eva. "Das soll alles so bleiben", sagte der Zauberer, "solange ich bei guter Laune bin und du mir das alles sauber und ordentlich hältst. Nimm dich nur vor dem goldenen Häuschen in acht. Es ist empfindlich, putze mir nie über, die gläserne Tür, sie zerbricht sonst, ein bisschen Staub schadet ihr nichts!"

Von nun ab war Eva den ganzen Tag in dem kleinen Turmzimmer beschäftigt. Ja, es machte ihr sogar Freude. Den Zauberer sah sie selten. Das einzige, was sie störte, war die dünne Staubschicht auf der gläsernen Türe. Einmal hielt sie es nicht mehr aus, sie nahm ein weiches Tuch und ging ganz vorsichtig darüber, aber da hörte sie einen feinen Ton, die Scheibe war zersprungen. Mit klopfendem Herzen öffnete das Mädchen die Türe zum ersten Mal und nahm die kleine Porzellangestalt in ihre Hände, diese wurde plötzlich so schwer wie Blei und das Mädchen bückte sich schnell, so dass die Hände den Teppich berührten. Da erschrak das Mädchen heftig, denn die Hände waren leer, und vor ihm stand der Knabe aus Porzellan, ein wenig größer noch als der Zauberer. Was sollte Eva damit anfangen? Aber er war so unbeschreiblich schön, dass sie ihn schnell auf die Stirne küsste, und da geschah das Wundersame. Nun wurde der Knabe lebendig, er war ein richtiger Mensch. "Wer bist du?" fragte das Mädchen erstaunt, "hat der Zauberer dich verwandelt?" "Ja", erwiderte der Knabe, "es muss schon sehr lange her sein." Er ging auf das Fenster zu und atmete einmal tief auf. "Diese Häuser drüben standen damals noch nicht", sagte er, "und solche Kleider, wie ich sie da unten sehe, gab es auch nicht. Mein Gott, wie lange muss das her sein!" "Dann freut es dich wohl gar nicht, dass ich dich erlöst habe?" fragte das Mädchen leise. "Wie kannst du das denken", rief der Knabe, "die Welt ist immer schön, wenn man auch solche Spitzen nicht mehr trägt." Er lachte, und riss sie von seinen seidenen Ärmeln. "Aber wie willst du jetzt von hier fort?" rief Eva ängstlich. "O, das ist einfach", antwortete der Knabe. Er öffnete das Fenster, draußen war es Nacht, und warf das kleine, goldene Haus auf die Straße. Draus wuchs eine Leiter, und der Knabe schwang sich hinaus und stieg hinab. "komme schnell nach", rief er, "aber schnell!" Eva stand wie erstarrt vor dem Fenster, sie hörte in der Treppe die Schritte des Zauberers. Schnell nahm sie ihr Tuch und begann die Ringe blank zu reiben. In ihrer Verwirrung fing sie an zu singen:

Spiegel hin und Spiegel her ach wie leuchtest du so sehr. Engelein an der Seite aus Gold ach wie lächelst du so hold.

Nun muss ich doch schnell mal sehn, ob ich jung noch bin und schön?

"Du bist lustig", sagte der Zauberer, als er eintrat, "das freut mich!" Er legte seinen Mantel ab und setzte sich in seinen Schaukelstuhl.

Eva unterbrach ihre Arbeit nicht. "Singe weiter, mein Kind", rief er, "singe weiter!" Und Eva sang:

Heute sing ich froh und laut, morgen bin ich vielleicht Braut. Heut' trag' ich mein Kinderkleid' morgen wohl ein Goldgeschmied'. Spiegel her und Spiegel hin, sage mir, wie alt ich bin?

Der Zauberer lachte, und von der Decke regnete es von Goldspangen und Silberblumen. "Aber warte", rief er plötzlich, "gib mir einmal das kleine goldene Haus!" "Ach, das habe ich weggestellt", sagte das Mädchen, "es ärgerte mich, weil ich es doch nie abstauben durfte." Eva tat so, als wenn sie überall

danach suchen würde und ihre Hände zitterten. "Ich finde es nicht", seufzte sie, "mein Gott, wo habe ich es nur hingetan?" "Du wirst es schon finden", meinte der Zauberer, "suche in Ruhe und gehe jetzt schlafen. Aber morgen muss ich das kleine goldene Haus haben!" Als er fort war, schlug das Mädchen die Hände vor das Gesicht und weinte. Jedoch wie sollte das helfen! Eva erhob sich und ging an das Fenster. Aber was lag da auf dem Boden? Es waren die Spitzenmanschetten des Knaben. Eva nahm sie, überlegte eine Weile, öffnete dann das Fenster und warf sie hinaus. Im selben Augenblick wuchs eine Leiter darauf und Eva sprang behende hinunter. Erschöpft setzte sie sich auf den Brunnenrand. Aber was sah sie dicht vor sich? Ihren eigenen Vater in Erz verwandelt. Das Huhn sah aus seiner Tasche hervor, O, es war ein Spott und eine Schande. "Was machst du hier, lieber Vater?" rief das Mädchen. "Der Zauberer hat mich verwandelt, in der Nacht, als du nicht wiederkamst"' tönte es aus dem Brunnen, "die Leute in Aachen meinen, ein Freund der Stadt, der vor kurzem von immer von dir wegging, habe dieses Denkmal heimlich hier herbringen lassen. Die Leute freuen sich darüber, zum Glück erkennen sie mich nicht. Aber höre gut zu, Eva, ich habe die goldenen Eier im Wald vergraben. Geh und hole sie dir, dann bist du reich. Was brauchst du mich dann noch. Ich muss jetzt für meine Schuld büßen." - Das Mädchen ging traurig davon, als es an das Tor der Stadt kam, sah es dort ein wunderschönes, neues Haus stehen. Die Fenster waren hell erleuchtet, in der Türe aber stand der Knabe, nein, er war kein Knabe mehr, er war ein Mann geworden. "komme herein, du liebes Mädchen", rief er fröhlich, "ich habe auf dich gewartet, du sollst meine Braut sein." Er fasste ihre Hand und zog sie in das Haus. "Denke dir, was ich erlebt habe!" begann er zu erzählen. "Ich ging in der Nacht weinend in den Wald hinein, weil ich dich verloren hatte. Da hörte ich deine Stimme, du sangst ein Lied und ich ging diesem Klang nach. So lautete das Lied:

Spiegel hin und Spiegel her, ach, wie leuchtest du so sehr.

Engelein an der Seite aus Gold,

ach wie lächelst du so hold. Nun muss ich doch schnell mal sehn ob ich jung bin noch und schön?

Heute sing ich froh und laut, morgen bin ich vielleicht Braut, Heut' trag' ich mein Kinderkleid, morgen wohl ein Goldgeschmeid. Spiegel her und Spiegel hin, sage mir, wie alt ich bin?

Dann verstummte der Gesang und ich fand eine kleine Hütte. Ich ging hinein, und da niemand dort wohnte, schlief ich in der kleinen Kammer. Am nächsten Morgen sah ich draußen einen Garten. In der Ecke steckte ein Spaten, und ohne mir etwas dabei zu denken, fing ich an, den Garten umzugraben. Da stieß ich auf etwas Hartes, und als ich zusah, war es eine eiserne Kiste. Ich öffnete sie und sah lauter Eier aus Gold darin liegen." "O Gott, davon hast du das Haus erbaut", rief Eva, "es ist Teufelsgold!" Der junge Mann erschrak heftig, als das Mädchen ihm nun alles erzählte, und er schwieg lange Zeit. Dann aber wurden seine Augen wieder strahlend und er sagte. "Weißt du, ich bin ein Goldschmied und habe manches Schöne aus dem Gold gemacht, so auch eine kleine Krone für die Madonna im Dom, ob uns das nicht hilft?" Nun wurde es dem Mädchen auch leichter. Sie machten sich also in der gleichen Nacht noch auf und brachten die Krone in den Dom. Sie vernahmen plötzlich eine wunderbare Orgelmusik. Über dem Kronleuchter erblickten sie einen Kranz von Engeln. Aus den Ornamenten des Steinbodens erhoben sich Schmetterlinge in allen Farben, die in einen Seitengang hineinflogen und sich dort auf einen schwarzen, abgetretenen Grabstein niederließen. Der Stein erhob sich und aus der Gruft stieg ein Mann mit einer Krone auf dem Kopf. "Ihr könnt den Teufel überlisten", sprach er, "geht jetzt zu dem Brunnen, es ist die Zeit, wo Thomas lebendig wird. Schneidet einen Teil seiner Haare ab und legt die auf den Brunnenrand, alles Weitere werdet ihr selbst sehn!" -

Die beiden jungen Menschen liefen schnell hinaus, und da kam ihnen Thomas schon entgegen. Sie taten, wie der Kaiser ihnen befohlen hatte, und als sie die Haare auf den Brunnenrand legten, wurde daraus ein neues Denkmal. Nun gingen sie in das große, schöne Haus und lebten dort recht vergnügt miteinander. Wenn Thomas aber den Hühnermarkt sah, war er immer ein wenig ängstlich. Er wunderte sich, dass die Leute nicht sahen, wer der Hühnerdieb eigentlich war, denn immerhin trug er ja sein Gesicht. Nun, auch das konnte Zauberei sein. Und doch ist es möglich, dass man einen Menschen, den man nur in Lumpen und Flicken gesehen hat, nicht mehr wiedererkennt, wenn dieser plötzlich die herrlichsten Kleider trägt. Denn darauf sehen die Menschen zuerst. Ist das aber zu verstehen, das Thomas manchmal Sehnsucht hatte nach seinem Kasten? Er ging mit seinem vornehmen Stock oft einige Male um den Hühnerdieb herum und sang in Gedanken immerzu:

Mädchen, seht in meinen Kasten, was ich da für süße Lasten

schleppe in die Stadt:

Perlen, Blumen, bunte Bänder, Spitzen für die Samtgewänder.

Glaubt mir, niemand hat sonst so hübsche kleine Dinge, Goldgeschmeide, Silberringe, Spiegel groß und klein.

Mädchen, wenn ihr geht zum Tanze,

braucht ihr doch von meinem Glanze,

kommt und sagt nicht nein!

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